Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
können. Den grössten Theil derselben bilden Gesichte und Offenbarungen, und die Geschichte enthält hauptsächlich Wunder, d. h. wie im vorigen Kapitel gezeigt worden, Erzählungen ungewöhnlicher Naturereignisse, die den Meinungen und dem Verstande der betreffenden Geschichtschreiber angepasst worden sind. Ebenso sind die Offenbarungen den Meinungen der Propheten angepasst, wie ich im zweiten Kapitel dargelegt habe, und diese übersteigen in Wahrheit den menschlichen Verstand. Deshalb muss man die Erkenntniss von beinah alledem, was die Schrift enthält, aus ihr selbst entnehmen, ebenso wie bei der Naturerkenntniss diese von der Natur entnommen werden muss.
Was aber die moralischen Lehren anlangt, welche die Bibel enthält, so könnte sie zwar aus den gemeinen Begriffen abgeleitet werden, allein man kann daraus nicht beweisen, dass die Schrift sie lehre, sondern dies kann nur ans der Bibel selbst entnommen werden. Ja, wenn man ohne Vorurtheil die Göttlichkeit der Bibel bezeugen will, so kann sie für uns nur darin bestehen, dass sie die wahren Lehren der Moral enthält. Daraus allein kann ihre Göttlichkeit bewiesen werden; denn ich habe gezeigt, dass die Weissagungen nur deshalb für gewiss gelten können, weil die Propheten rechtliche und gute Gesinnungen hatten. Deshalb können auch wir nur aus gleichem Grunde ihnen vertrauen. Aus Wundern kann dagegen Gottes göttliche Natur nicht bewiesen werden, wie ich schon dargelegt habe; nicht zu erwähnen, dass auch falsche Propheten sie verrichten konnten. Daher kann die Göttlichkeit der Schrift nur daraus sich ergeben, dass sie die wahre Tugend lehrt, und dies kann sich aus der Schrift allein ergeben. Wäre dies nicht möglich, so könnte man nicht ohne grosse Bedenken sie annehmen und ihre Göttlichkeit bezeugen. Somit muss die ganze Erkenntniss der Schrift aus ihr selbst entlehnt werden. Endlich giebt die Bibel keine Definitionen der Dinge, von denen sie spricht, so wenig wie die Natur. Sowie daher aus den verschiedenen Vorgängen in der Natur die Definitionen der natürlichen Dinge gefolgert werden müssen, so sind sie hier aus den verschiedenen Erzählungen, die denselben Gegenstand in der Bibel behandeln, abzunehmen. Deshalb ist die allgemeine Regel für die Bibelerklärung, der Schrift keine Lehre zuzuschreiben, die aus der Geschichte der Bibel sich nicht klar ergiebt. Es ist deshalb zu ermitteln, wie die Geschichte der Bibel beschaffen sein, und was sie vorzüglich enthalten muss.
Erstens muss sie die Natur und Eigenthümlichkeit der Sprache enthalten, in der die Bücher der Bibel geschrieben worden, und die ihre Verfasser zu sprechen pflegten. So wird man den verschiedenen Sinn, den eine Rede im gewöhnlichen Sprachgebrauch zulässt, ermitteln können. Da aber sämmtliche Verfasser des Alten und Neuen Testaments Juden waren, so ist vor Allem die Geschichte der hebräischen Sprache nothwendig; nicht blos zum Verständniss der Bücher des Alten Testaments, die in dieser Sprache geschrieben sind, sondern auch des Neuen, da sie, obgleich sie in andern Sprachen veröffentlicht worden, doch den Charakter des Hebräischen an sich haben.
Zweitens muss sie die Aussprüche jedes Buches sammeln und auf gewisse Hauptpunkte zurückführen, damit man Alles, was einen Gegenstand betrifft, bei der Hand habe. Ferner muss sie alle zweideutigen oder dunklen oder sich widersprechenden Stellen bemerken, wobei ich eine Stelle dunkel oder deutlich nenne, deren Sinn aus dem Text der Rede schwer oder leicht verständlich ist. Denn die Schwierigkeit liegt nur in dem Sinn der Rede, nicht in ihrer Wahrheit. Insbesondere hat man sich vorzusehen und bei Aufsuchung des Sinnes der Bibel sich nicht im Voraus von einer Begründungsweise einnehmen zu lassen, die nur auf den Grundlagen der natürlichen Erkenntniss beruht, wobei ich der Vorurtheile nicht erwähne, und den wahren Sinn nicht mit der Wahrheit der Thatsachen zu verwechseln. Jener ist aus dem Sprachgebrauch allein oder aus Erwägungen abzunehmen, welche nichts als die Bibel zu Hülfe nehmen.
Dieses Alles will ich zur nähern Deutlichkeit mit einem Beispiel erläutern. Die Aussprüche Mosis: »Gott ist das Feuer« und »Gott ist eifersüchtig« sind dem Wortsinne nach ganz klar; ich rechne sie deshalb zu den klaren, obgleich sie rücksichtlich der Wahrheit und des Grundes zu den dunkelsten gehören; ja, obgleich ihr Wortsinn dem natürlichen Licht widerstreitet, so muss doch an ihrem Wortsinn festgehalten werden,
Weitere Kostenlose Bücher