Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
der Gründe in jeder Sprache leicht verstanden werden könne, weil es allgemein bekannt ist und geübt wird, und die Menge sich dabei und nicht bei dem Zeugniss der Ausleger beruhigt. In allem Uebrigen geht es ihr wie den Gelehrten selbst.
Ich kehre indess zur Meinung von Maimonides zurück und will sie noch genauer untersuchen. Zuerst setzt er voraus, dass die Propheten in Allem übereingestimmt und die grössten Philosophen und Theologen gewesen seien; denn er meint, sie hätten aus der Wahrheit der Dinge ihre Lehre abgeleitet; allein diese ist falsch, wie ich im zweiten Kapitel gezeigt habe. Dann nimmt er an, dass der Sinn der Schrift aus ihr selbst sich nicht ergeben könne; denn die Wahrheit der Dinge ergebe sich aus ihr nicht, da sie keine Beweise habe, und das, was sie lehre, lehre sie nicht durch Definitionen und aus den ersten Ursachen. Deshalb soll nach Maimonides der wahre Sinn der Bibel sich nicht aus ihr ergeben und nicht aus ihr entnommen werden können. Aber auch dies ist falsch, wie aus diesem Kapitel erhellt. Denn ich habe mit Gründen und Beispielen erwiesen, dass der Sinn der Bibel aus ihr selbst sich ergiebt und selbst bei Dingen, die nach dem natürlichen Licht bekannt sind, aus ihr allein entnommen werden muss.
Er nimmt endlich an, dass uns erlaubt sei, die Worte der Schrift nach unsern vorgefassten Meinungen zu erklären, zu verdrehen und den Wortsinn, wenn er auch noch so klar und ausdrücklich ist, zu verleugnen und in einen andern zu verkehren. Eine solche Erlaubniss geht offenbar zu weit und ist zu verwegen, denn sie widerspricht geradezu dem, was in diesem Kapitel und früher dargelegt worden ist. Aber wenn ich ihm auch diese grosse Freiheit gestattete, was erreichte er damit? Fürwahr nichts; denn der Inhalt der Bibel ist zum grössern Theil unbeweisbar und kann daher auf diese Art nicht erforscht und nach dieser Regel nicht erklärt und erläutert werden. Befolgt man dagegen meine Regeln, so kann man Vieles dieser Art erklären und sicher darüber verhandeln, wie ich mit Gründen und durch die That gezeigt habe. Ebenso kann der Sinn des von Natur Begreiflichen leicht, wie ich gezeigt, aus dem Text der Rede entnommen werden; aber die Weise des Maimonides ist hier ohne Nutzen. Dazu kommt, dass sie alle Gewissheit zerstört, welche die Menge bei einem andächtigen Lesen und Jedermann bei Befolgung meines Verfahrens über den Sinn der Bibel gewinnen kann. Ich verwerfe deshalb diese Ansicht des Maimonides ; sie ist schädlich, unnütz und widersinnig.
Was ferner die Ueberlieferung der Pharisäer anlangt, so habe ich schon früher bemerkt, dass sie sich nicht gleich bleibt; dagegen bedarf die Autorität der Päpste eines überzeugenden Zeugnisses, und deshalb verwerfe ich sie. Zeigte die Bibel uns dieselbe ebenso deutlich, wie bei den Juden die Hohenpriester ehedem für ihre Autorität daraus ableiten konnten, so würde es mich nicht stören, dass es unter den Römischen Päpsten Ketzer und Gottlose gegeben hat, die ihr Amt auf unredliche Weise erlangt hatten; denn auch unter den jüdischen Hohenpriestern gab es Ketzer und Gottlose; aber doch kam denselben nach dem Gebote der Bibel die oberste Macht der Schrifterklärung zu. (Man sehe Exod. XVII. 11, 12; XXXIII. 10 und Malach. II. 8.) Allein da die Päpste kein solches Zeugniss uns vorweisen können, so bleibt ihre Machtvollkommenheit verdächtig, und wenn man, durch das Beispiel der Juden verleitet, behauptet, die katholische Religion bedarf ebenfalls eines Hohenpriesters, so muss ich bemerken, dass die Gesetze Mosis, als das einheimische Recht, nothwendig zu ihrer Erhaltung einer öffentlichen Macht bedurften; denn könnte Jeder das öffentliche Recht nach seinem Belieben auslegen, so könnte kein Staat bestellen; er würde sich sofort auflösen, und das öffentliche Recht zu einem privaten werden. Mit der Religion verhält es sich aber ganz anders. Sie besteht nicht sowohl aus äusserlichen Handlungen als aus der Einfalt und Wahrhaftigkeit der Seele und gehört deshalb nicht zu dem öffentlichen Recht und zur Staatsgewalt. Diese Einfalt und Wahrhaftigkeit der Seele wird den Menschen nicht durch das Gebot der Gesetze noch durch die Macht des Staates beigebracht, und Niemand kann durch Gewalt oder Gesetze genöthigt werden, selig zu werden. Dazu gehörten fromme und brüderliche Ermahnungen, eine gute Erziehung und vor Allem Freiheit des eignen Urtheils.
Da mithin Jedem das Recht der Gedankenfreiheit auch in
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