Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
Religionssachen zustellt und Niemand sich dieses Rechtes begeben kann, so hat auch Jeder das Recht und die Macht, über Religion frei zu urtheilen und also auch sie für sich zu erklären und auszulegen. Denn die Macht der Gesetzes-Auslegung und die höchste Entscheidung über öffentliche Angelegenheiten stellt der Obrigkeit nur zu, weil es sich dabei um das öffentliche Recht handelt. Deshalb muss aus gleichem Gründe die oberste Macht, die Religion auszulegen und darüber zu entscheiden, dem Einzelnen zustehn, da es das Recht des Einzelnen ist. Es wäre also weit gefehlt, wenn man ans der Macht der jüdischen Hohenpriester zur Erklärung des einheimischen Rechts die Macht des Papstes in Rom zur Erklärung der Religion folgern wollte, da vielmehr daraus sich ergiebt, dass jeder Einzelne diese Macht hat. Zugleich erhellt, dass meine Regeln der Schriftauslegung die besten sind. Denn ist die oberste Macht dazu bei jedem Einzelnen, so kann nur das natürliche, Allen gemeinsame Licht zur Regel bei der Auslegung dienen, aber kein Übernatürliches Licht und keine äussere Autorität. Auch darf sie dann nicht so schwierig sein, dass nur die scharfsinnigsten Philosophen sie geben können, sondern sie muss dem natürlichen und allgemeinen Verstande und den Fähigkeiten der Menschen zugänglich sein, wie dies bei meinen Regeln der Fall ist; da die dabei vorkommenden Schwierigkeiten nicht in der Natur meines Verfahrens liegen, sondern nur aus der Nachlässigkeit der Menschen entstanden sind.
Achtes Kapitel
Darin wird gezeigt, dass die Bücher Mosis und Josua's, der Richter, Ruth, Samuel's und der Könige nicht von diesen selbst verfasst sind, und es wird untersucht, ob sie von Mehreren oder nur von Einem und von wem abgefasst worden sind.
Im vorigen Kapitel habe ich von den Grundlagen und Regeln der Erkenntniss der Bibel gehandelt und gezeigt, dass diese nur in deren wahrhaftiger Geschichte besteht; allein die Alten haben letztere trotz ihrer Nothwendigkeit vernachlässigt, und wenn sie darüber Etwas geschrieben oder überliefert haben, so ist es durch die Ungunst der Zeiten verloren gegangen, und damit ist ein grosser Theil der Grundlagen und Grundsätze dieser Erkenntniss ausgefallen. Es liesse sich dies noch ertragen, wenn die Spätern sich in den wahren Grenzen gehalten und das Wenige, was sie empfangen oder gefunden hatten, getreulich ihren Nachfolgern überliefert hätten, ohne Neues aus ihrem Gehirn hinzuzuschmieden. Deshalb ist die Geschichte der Bibel nicht allein unvollständig geblieben, sondern auch mit Lügen angefüllt worden, d.h. es kann nichts Vollständiges darauf errichtet werden, sondern Alles bleibt mangelhaft.
Es ist nun meine Aufgabe, diese unterlagen der Schrift-Erkenntniss zu verbessern und nicht blos die unbedeutendem und gemeinen Vorurtheile der Theologie zu beseitigen. Allein ich fürchte, dass ich dies zu spät beginne; denn die Sache hat sich schon so befestigt, dass man von keiner Berichtigung Etwas hören mag, vielmehr das, was man unter dem Schein der Religion angenommen, hartnäckig vertheidigt; deshalb ist für die Vernunft keine Stelle, ausser bei Wenigen in Vergleich zu den Andern, übrig; so vollständig haben diese Vorurtheile bereits den Sinn der Menschen eingenommen. Dennoch will ich es versuchen und nicht nachlassen, da ich die Sache nicht als verzweifelt ansehen kann.
Um aber dies ordentlich zu thun, werde ich mit den Vorurtheilen in Betreff der wahren Verfasser der heiligen Schriften beginnen und zunächst mit dem Verfasser der Bücher Mosis. Man hält beinahe allgemein Moses für denselben, und die Pharisäer behaupteten dies so hartnäckig, dass jeder Andersdenkende für einen Ketzer galt; selbst Aben Hezra, ein Mann von freiem Geist und nicht geringer Gelehrsamkeit, welcher, so viel ich weiss, zuerst dieses Vorurtheil bemerkte, hat nicht gewagt, seine Meinung offen auszusprechen; er hat vielmehr sie nur mit dunklen Worten angedeutet; aber ich scheue es nicht, sie deutlicher zu machen und die Sache klar zu legen.
Die Worte Aben Hezra's in seinem Kommentar über das vierte Buch Mosis lauten so: »Jenseit des Jordan u.s.w.; sobald Du nur das Geheimniss der Zwölf verstehst,« auch »und Muses schrieb das Gesetz« und »Cenahita war damals auf Erden«, »auf dem Berge Gottes« wird es offenbart werden; dann auch »siehe das Bett, sein eisernes Bett«, »dann wirst Du die Wahrheit erkennen.« - Mit diesen wenigen Worten deutet er an und zeigt zugleich,
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