Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
weshalb, und die Zeit, wann diese Bücher, deren Verfasser wir nicht kennen, geschrieben worden, sind uns unbekannt; ebenso, in wessen Hände diese Bücher gerathen sind, in welchen Exemplaren seine verschiedenen Lesarten sich befunden haben, und ob nicht mehr dergleichen Lesarten bei Anderen bestanden haben. Wie wichtig diese Kenntniss aber ist, habe ich an seiner Stelle gezeigt, und einiges dort absichtlich unerwähnt Geblichene will ich hier in Betracht nehmen.
Liest man ein Buch, was Unglaubliches oder Unverständliches enthält oder in dunklen Ausdrücken abgefasst ist, und kennt man den Verfasser und die Zeit und den Anlass dazu nicht, so ist es vergeblich, sich über dessen Sinn zu vergewissern. Es ist dann unmöglich zu wissen, was der Verfasser gewollt oder wollen gekonnt hat, während, wenn man dies genau kennte, man sein Urtheil so einrichten könnte, dass man ohne vorgefasste Meinung dem Verfasser oder Dem, für den er schrieb, nicht mehr oder weniger, als Recht ist, zutheilt, und dass man nur an das denkt, was der Verfasser im Sinn hatte, und was die Zeit und Gelegenheit verlangte.
Hierin wird mir Jeder beistimmen. Denn es trifft sich oft, dass man ähnliche Geschichten in verschiedenen Büchern findet, worüber man sehr verschieden urtheilt, je nach der Kenntniss, die man von den Verfassern hat.
So entsinne ich mich, einst in einem Buche von einem Manne gelesen zu haben, der der rasende Roland hiess, auf einem geflügelten Ungeheuer durch die Luft ritt und damit über beliebige Länder hinwegflog; er allein metzelte eine ungeheure Zahl Menschen und Riesen nieder, und dergleichen mehr, was für den gesunden Verstand ganz unfassbar war. Eine dieser ähnlichen Geschichte hatte ich im Ovid über Perseus gelesen und noch eine ähnliche in dem Buch der Richter und Könige über Simson (der allein und ohne Waffen Tausende von Menschen niedermetzelte) und von Elias, der durch die Luft flog und endlich in einem feurigen Wagen und mit feurigen Rossen gen Himmel fuhr. Obgleich nun diese Erzählungen einander sehr gleichen, so urtheilen wir doch über jede sehr verschieden, nämlich dass der Verfasser der ersten nur Possen hat schreiben wollen; der Zweite aber politische Dinge und der Dritte heilige; und Alles dies nehmen wir nur in Folge der Meinungen an, die wir über deren Verfasser hegen. Hieraus erhellt, dass ohne Kenntniss der Verfasser, welche dunkel und unverständlich geschrieben haben, die Erklärung ihrer Schriften unmöglich bleibt.
Aus denselben Gründen muss man, um die wahren Lesarten bei dunklen Geschichten zu ermitteln, wissen, in wessen Händen die Exemplare mit den verschiedenen Lesarten sich befunden haben, und ob nicht noch andere sich bei Personen von grösserer Zuverlässigkeit finden.
Eine andere Schwierigkeit bei Erklärung der Bibel in dieser Weise liegt darin, dass wir sie nicht mehr in der ursprünglichen Sprache besitzen. Denn das Evangelium Matthäi und unzweifelhaft auch der Brief an die Hebräer ist nach allgemeiner Annahme hebräisch abgefasst worden, welcher Text aber nicht mehr vorhanden ist. Von dem Buche Hiob ist es zweifelhaft, in welcher Sprache es abgefasst worden; Aben Hezra behauptet in seinem Kommentar, es sei aus einer andern Sprache in das Hebräische übersetzt worden, und davon komme seine Dunkelheit. Ueber die apokryphischen Bücher sage ich nichts, da sie von sehr verschiedener Gültigkeit sind.
Dies sind nun alle Schwierigkeiten der Auslegungsweise der Bibel, die aus ihrer eignen Geschichte, soweit sie zu haben ist, hervorgehen. Ich halte sie für so gross, dass ich behaupten möchte, wir kennen den wahren Sinn der Bibel in ihren meisten Stellen weder mit Gewissheit noch mit Wahrscheinlichkeit. Indess muss ich wiederholt erinnern, dass alle diese Schwierigkeiten nur da die Auffindung des Sinnes der Propheten hindern, wo es sich um unbegreifliche und nur eingebildete Dinge handelt, aber nicht bei verständlichen Gegenständen, von denen man klare Begriffe bilden kann. Denn Dinge, die von Natur leicht erfassbar sind, können nie so dunkel ausgedrückt werden, dass sie nicht dennoch leicht zu verstehen wären, nach dem Sprüchwort: »Für den Klugen ist genug gesagt.« Euclid , der nur über einfache und höchst verständliche Dinge schrieb, wird von Jedem in jeder Sprache verstanden; denn um dessen Meinung zu treffen und des wahren Sinnes gewiss zu sein, braucht es keiner vollständigen Kenntniss der Sprache, in der er geschrieben hat;
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