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Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)

Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)

Titel: Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Konrad Paul Liessmann
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mit der er konfrontiert wird, in Form einer gereihten Liste zu geben. Was bedeutet Qualität im Unterricht? Testen und reihen! Was ist eine gute Universität? Evaluieren und reihen! Worin erweist sich wissenschaftliche Dignität? Publikationsorgane reihen! Welche Forschungsprojekte sollen verfolgt werden? Gutachten einholen und reihen! Nie ist die Sache selbst Gegenstand einer Betrachtung oder Reflexion, immer nur der Platz, den sie auf einer ominösen Liste einnimmt.
    Die Fetischisierung der Rangliste ist Ausdruck und Symptom einer spezifischen Erscheinungsform von Unbildung: mangelnde Urteilskraft. In seiner Anthropologie in pragmatischer Hinsicht von 1798 hatte Immanuel Kant fehlende Urteilskraft eine Form der Dummheit genannt. 44 Tatsächlich ersetzt jede Reihung ein qualifiziertes Urteil, da sie besessen ist von der falschen Vorstellung, Urteilen hieße Quantifizieren. Je mehr an einer Universität oder Schule von Qualitätssicherung die Rede ist, desto weniger geht es um Qualitäten, sondern einzig darum, Qualitäten in Quantitäten aufzulösen. Was immer an spezifischen Gegebenheiten, Leistungen und auch Mängeln an solch einer Institution und den in ihr agierenden Menschen festgestellt werden könnte, wird durch die Zahlen, in die alles gegossen werden soll, zum Verschwinden gebracht.
    Da sich niemand mehr der Mühe unterziehen will, einen Aufsatz, den er beurteilen soll, zu lesen, ist es gut zu wissen, in welcher Zeitschrift dieser Aufsatz erschienen ist, mit welchem Impact-Faktor diese Zeitschrift ausgestattet wurde und welche Punkteanzahl deshalb diesem Aufsatz gegeben werden kann. Multipliziert man dann die Anzahl von Publikationen mit den Impact-Faktoren der Publikationsorgane, ergibt sich eine Zahl, nach der man jährlich die Wissenschaftler reihen kann. Man hat ein sicheres Qualitätsmerkmal und muß nie mehr auch nur eine Zeile von dem lesen, was die Forscher geschrieben haben.
    Die Verweigerung von Bewertungs- und Qualitätssicherungsagenturen, auch wenn sie an den Universitäten selbst angesiedelt sind, sich auch nur dem Anflug einer inhaltlichen Auseinandersetzung zu stellen, verrät alles darüber, was gegenwärtig unter Qualität verstanden wird: reine, nackte und simple Quantifizierbarkeit. Daß diese schon ihrem Begriffe nach der Qualität widerspricht und Qualitäten schon aus begriffslogischen Gründen nicht einfach in Quantitäten übergeführt werden können, hat ein Konzept von Qualitätssicherung, das selbst die einfachsten Grundbegriffe der Logik nicht beherrscht, längst vergessen. Gerade auf dieser Dummheit beruht allerdings die Faszination von Rankings, denn diesen erscheinen Qualitäten nur mehr als Relation von Quantitäten. Es geht darum, durch Platzziffern auszudrücken, wer besser und wer schlechter ist.
    Nun ist die Relation, in der Dinge zueinander stehen können, nicht ohne Bedeutung, und die Lust am Vergleichen und Bewerten ist der menschlichen Vernunft als Grundvermögen eingeschrieben. Um dieser Lust angemessen frönen zu können, bedarf es einer Urteilskraft, die einerseits die Fähigkeit besitzt, sich auf Dinge erst einmal einzulassen, und andererseits imstande ist, überhaupt zu erkennen, wie Kant es formulierte, um was für einen Fall es sich handelt. Universitätsleitungen zum Beispiel, die, angesteckt durch den allgemeinen Ranking-Wahn, dazu übergehen, Reihungen von geisteswissenschaftlichen Verlagen vorzunehmen, um den Wert von Publikationen leichter beurteilen zu können, verkennen nicht nur die Realität, sondern haben, ob intendiert oder nicht, den impliziten normativen Anspruch, die Differenziertheit einer durch den ökonomischen Druck ohnehin stark beeinträchtigten Verlagslandschaft vollends in das einförmige Grau einer Liste überzuführen. Dadurch wird letztlich die Frage, was man schreibt, ersetzt durch die Frage, ob man bei einem gerankten Verlag publiziert. Durch solche Vorgaben werden letztlich inhaltliche Akzente gesetzt. Die Freiheit der Forschung wird um ein weiteres Segment beschnitten, Energie und Kraft, die man zum Denken benötigte, fließen in die Bemühungen, bei einem der vorgegebenen Verlage unterzukommen.
    Was in der Ideologie des Rankings als empirische Bestandsaufnahme vorhandener Qualitäten und Defizite aufscheint, hat bei genauerer Betrachtung einen durchwegs normativen Charakter. Über die Autorität der Rangliste werden jene Vorgaben gemacht, nach denen Wissenskulturen modifiziert und Bildungsräume reformiert werden, ohne daß diese

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