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Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)

Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)

Titel: Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Konrad Paul Liessmann
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Augenmerk zu schenken, sich dem Wettbewerb nicht zu stellen und damit in der Provinzialität zu versinken. Auch dort, wo sich Restbestände kritischen Denkens an diese Begriffe heranmachen, wird meist nur die eine oder andere Methode, das eine oder andere Verfahren, die eine oder andere Präsentationsfolie bezweifelt, nie die damit verbundene Sache an sich. Fraglich allerdings, ob Evaluationen welcher Art auch immer überhaupt das bewerten, was zu bewerten sie vorgeben. Es ist möglich, daß sie aber gerade deshalb ihren eigentlichen Zweck erfüllen: die schleichende Transformation von freier Wissenschaft in ein unfreies Dienstleistungsgewerbe.
    Evaluation also. Der aus dem Französischen – nicht aus dem Lateinischen – stammende, über die englische Variante erst in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts in den deutschen Sprachraum importierte Begriff signalisierte im höheren Bildungswesen ein vordergründig harmloses neues Denken: Die Leistungen von Universitäten in Forschung und Lehre sollten wie die Leistungen in anderen Bereichen einer kontinuierlichen, standardisierten und objektiven Bewertung unterzogen werden. Wer wollte gegen dieses Ansinnen etwas vorbringen, zumal in Zeiten, in denen der »faule Professor« zum Liebling der Massenmedien und Bildungspolitiker geworden war. Kriterien und Methoden für diese Leistungsmessung und Leistungsbewertung fand man allerdings nicht nur in jenen Instrumentarien, die im Wissenschaftsbereich immer schon als Indikatoren für Qualität gegolten hatten – Publikationstätigkeit, Aufmerksamkeit und Anerkennung bei der Fachkollegenschaft, öffentliche Wirksamkeit, Beliebtheit und Anerkennung bei den Studenten –, sondern zunehmend in quantifizierenden Verfahren, die aus der Betriebswirtschaftslehre und der Unternehmensberatung ins Bildungssystem übernommen wurden: Indizes, Kennzahlen, Punktesysteme, Impact-Faktoren, Steigerungsraten, Kosten-Nutzen-Rechnungen, finanzgebarungsähnliche Wissensbilanzen, Input-Output-Diagramme, Mitarbeiterbefragungen, Erstellung von Organigrammen, Systemanalysen und ähnliches mehr.
    Daß Evaluationen nicht das messen, was sie zu messen vorgeben, resultiert aus der Tatsache, daß es übereinstimmende Vorstellungen weder von den Methoden noch von den Kriterien gibt, nach denen evaluiert werden soll. Nicht einmal darüber, was evaluiert werden soll, um zum Beispiel ein Bild von der Qualität einer Universität zu bekommen, herrscht Übereinstimmung. Geht es um die Forschungsleistungen oder um die Qualität der Ausbildung, geht es um die Angepaßtheit an internationale Trends oder um spezifische Potentiale, geht es um das Verhältnis von Lehrenden und Lernenden oder um das Wohlfühlgefühl von Studierenden, geht es um die Ausstattung der Labors oder um akademische Freizeit- und Betreuungsangebote, geht es um die Verankerung einer Universität im kulturellen Milieu ihrer Umgebung oder um abgeschottete, in sich geschlossene Denkfabriken mit Eliteanspruch, geht es um die Berufschancen der Absolventen oder um die Attraktivität für Professoren, oder geht es um all diese Faktoren und wenn ja, in welchen Mischungsverhältnissen?
    Da nicht alles gleichzeitig evaluiert werden kann, beschränken wir uns hier exemplarisch auf die klassischen Aufgaben einer Universität: Lehre und Forschung. Werfen wir zuerst einen Blick auf die Evaluation der Lehre, die gegenwärtig allerdings nicht mehr so forciert wird wie noch vor wenigen Jahren, als unter dem damals herrschenden Dienstleistungsparadigma die Universitäten zur Kundenorientierung aufgefordert wurden und mancherorts sogar daran gedacht war, geheime Agenten in die Vorlesungen einzuschleusen, um die Professoren bei ihrem verdächtigen Tun und Treiben zu beobachten. Daß sich alles an den Bedürfnissen der Studierenden zu orientieren habe, die als Konsumenten zu den eigentlichen Akteuren des höheren Bildungsmarktes stilisiert wurden, führte zu Verfahren, die jedem Touristen bekannt sind: der obligate Fragebogen, durch den man seine Zufriedenheit oder Unzufriedenheit mit dem Gebotenen und Konsumierten ausdrückt. Nun also durfte angekreuzt werden, ob die Lehrveranstaltung verständlich und die vorgeschlagene Literatur lesbar war, der Einsatz neuer Medien forciert wurde, Elemente von E-Learning vorhanden waren, Prüfungsmodalitäten bekanntgegeben wurden und die Ausdrucksweise des Vortragenden sexistisches Gedankengut verriet.
    Natürlich wissen wir aus der Evaluationsforschung selbst, daß solche

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