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Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)

Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)

Titel: Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Konrad Paul Liessmann
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betrieben wird, die sich zunehmend an externen, wissensfernen, äußerlichen und willkürlichen Kriterien orientiert.
    Von Anfang an stand der Gedanke der Bewertung und Reihung in Verbindung mit dem Paradigma betriebswirtschaftlichen Denkens, das aus Schulen und Universitäten Unternehmen machen wollte, die an ihren marktorientierten Ergebnissen zu messen seien. Wohl gab es im Bildungsbereich immer wettbewerbsähnliche Situationen, gute Schulen waren bekannt und wurden weiterempfohlen, und zwischen den Universitäten gehörte Konkurrenz – wie auch Mobilität – seit Anbeginn zu ihren Merkmalen. Aber es war eine Konkurrenz, die sich zwischen unterschiedlichen Weltdeutungen, Methoden und Modellen, auch zwischen unterschiedlichen akademischen Kulturen abspielte, es war, emphatisch, eine Konkurrenz um die Zugänge zur Wahrheit und keine Konkurrenz um einen Listenplatz. Der in den europäischen Wissenschafts- und Universitätstraditionen seit deren Anfängen immer vorhandene Wettbewerb, der sich als Auseinandersetzung um bessere Theorien und attraktivere Lehrer dargestellt hatte, wird nun neu erfunden und auf einen imaginären Markt bezogen, der überhaupt erst durch die in eine Reihung gebrachten Evaluations- und Testergebnisse erzeugt wird.
    In dieser Verschiebung zeigt sich ein generelles Moment aller Unbildung: die Fetischisierung des Akzidentellen. Was unter bestimmten Bedingungen durchaus sinnvoll sein kann, wird verabsolutiert und zum alleinigen Kriterium stilisiert. Aus der einstigen Konkurrenz in der Wissenschaft, die man noch als institutionalisierte Form einer argumentativen Auseinandersetzung um die Wahrheit, als eine spezifische Diskursform begreifen konnte, wird das blindwütige Schielen auf den Platz an der Sonne. Während durch die zunehmende Vereinheitlichung der wissenschaftlichen Zugänge und der dazugehörigen Wissenskulturen eine tatsächliche Auseinandersetzung zwischen konkurrierenden Methoden oder Schulen immer seltener wird, nimmt die virtuelle Konkurrenz des Immergleichen zu.
    Es ist ein Irrtum zu glauben, daß die diversen Rankings von Universitäten eine tatsächliche Wettbewerbssituation widerspiegelten. Auch in einer globalisierten Gesellschaft konkurriert die Universität Klagenfurt nicht mit der Universität von Schanghai um die besten Forscher und begabtesten Studenten. Das Argument, daß die Rangliste zumindest die Realität abgestufter Qualitäten widerspiegle, die ihrerseits Hinweise auf die ökonomische und technologische Zukunftsfähigkeit eines Landes gebe, erweist sich ebenfalls rasch als Mythos. Es gibt – entgegen den verbreiteten Meinungen – keine wirklich gesicherten Ergebnisse, die zeigten, daß der Bildungsstand der Bevölkerung, daß Akademikerraten, Rankingplätze oder die Anzahl sogenannter Eliteinstitutionen unmittelbar mit der ökonomischen Prosperität, der sozialen Sicherheit oder dem zivilisatorischen Status eines Landes zu tun haben.
    Reihen heißt bewerten. Die Pointe aller Rankings besteht darin, daß Dinge, die kaum jemand in einem unmittelbaren Zusammenhang gesehen hätte, nun auf eine Reihe gebracht werden. Souveränität heute besitzt, wer die Macht hat, solch eine Reihung zu veranstalten. Wohl gebietet es die Simulation von Objektivität, daß solche Reihungen nur in Ausnahmefällen von einzelnen vorgenommen werden dürfen. Die Auswahl der zehn besten deutschen Romane kann man wohl noch dem unfehlbaren Urteil eines sogenannten Kritikerpapstes überlassen, für die 50 besten Filme aller Zeiten empfiehlt sich eine Jury von Filmjournalisten, die Liste der Top-Zahnärzte läßt sich zur Not von zuvor selbst gereihten Top-Patienten erstellen, und wo diese Mischungen aus subjektiver Willkür und selbsternanntem Gruppenrichtertum versagen, empfiehlt sich die Professionalisierung des Geschäfts: Die Stunde der Rating - und Bewertungsagenturen hat geschlagen. Diese erstellen die Ranglisten aufgrund mehr oder weniger plausibler Kriterien, mit Hilfe von Testreihen und Evaluationsverfahren, manchmal eher nach Gefühl und Geschmack der Schätzer, aber immer um gutes Geld.
    Wer einmal dem Mechanismus der Reihung verfallen ist, entwickelt rasch Symptome, die an den aus der Psychoanalyse bekannten Zwangscharakter erinnern. Was immer unter den Blick kommt, muß sofort in eine Reihung gebracht werden. So wie manche Neurotiker gezwungen sind, in jedem Bad, das sie betreten, die Fliesen abzuzählen, ist der gegenwärtige Bildungsexperte gezwungen, die Antwort auf jede Frage,

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