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Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)

Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)

Titel: Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Konrad Paul Liessmann
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man zu dem Befund kommen, daß er im gegenwärtigen Wissenschaftsbetrieb keine Chance gehabt hätte. Im Gegenteil, er verkörpert geradezu alles das, was dem Eifer der universitären Qualitätsmanager ein Dorn im Auge ist.
    Das beginnt mit Kants demonstrativer Immobilität und Unbeweglichkeit. Kant hat seine Geburtstadt Königsberg so gut wie nie verlassen. Nach dem Studium verdingte sich der modebewußte »elegante Magister« als Hauslehrer und Bibliothekar, ehe er nach einer langen Zeit des Wartens endlich eine Professur an der Universität Königsberg, an der er auch die Lehrbefugnis erhalten hatte, bekam. Der klassische Fall einer verpönten Hausberufung, die, so will es der Zeitgeist, Begrenztheit und mangelnde Mobilität signalisiert. Ohne jede internationale Erfahrung und ohne Auslandsaufenthalt bekommt Kant eine Lebensstelle an der Universität – das wäre angesichts des Ideals der befristeten Professuren sowohl unerwünscht als auch nur mehr schwer möglich.
    Kaum zum Professor ernannt, bestätigt Kant dann die schlimmsten Vorurteile, die man gegenüber beamteten Wissenschaftlern zu hegen pflegt: Er hört auf zu publizieren. Es folgen zehn »Jahre des Schweigens«, in denen gerade zwei Artikel in der Königsbergischen Zeitung erscheinen. Hätte man nach heutigen Kriterien die Universität Königsberg evaluiert, wäre es Kant wohl nicht erspart geblieben, sich wegen mangelnden Fleißes und ineffizienter Forschungsleistung zu verantworten. Zumindest die Zuordnung zu einem innovativen und interdisziplinär vernetzten Forschungsschwerpunkt wäre ihm sicher gewesen. Natürlich war Kant in diesen zehn Jahren nicht untätig gewesen: Er war Dekan der Philosophischen Fakultät, ständiges Mitglied des Akademischen Senats, später auch Rektor der Universität, aber vor allem: In seinem Kopf wuchs die Kritik der reinen Vernunft . Wahrscheinlich gehören diese Jahre des Schweigens zu den produktivsten Phasen der Wissenschaftsgeschichte überhaupt. Aber wer würde es in unserem Zeitalter der monströsen Projektanträge und des hektischen Publizierens wagen, jahrelanges konsequentes und vor allem auch singuläres Nachdenken als Forschungsleistung zu qualifizieren?
    Als sein Hauptwerk endlich erschien, erlitt Kant den nächsten Tiefschlag, der ihm unter gegenwärtigen Bedingungen den Rest gegeben hätte: Die Scientific community ignorierte das Werk zuerst, dann machte sie sich darüber lustig. Das Befremden, das Kant mit der Kritik der reinen Vernunft auslöste, hatte gute Gründe. Nicht nur verstieß er damit gegen so manche ideologische Grundüberzeugung seiner Zeit, sondern er hatte das Buch auch in einer Sprache verfaßt, die, gerade weil es ihm um größtmögliche Genauigkeit im Denken ging, von vielen bis heute als beschwerlich und unnötig kompliziert erachtet wird. Ähnliches gilt auch für die in rascher Folge erscheinenden weiteren Werke, die Kritik der praktischen Vernunft und die Kritik der Urteilskraft . Damit hätte Kant seinen letzten Kredit in einer verwertungsorientierten Wissensgesellschaft verspielt: Unverständlich, zu schwierig, nicht kundengerecht, letztlich unnütz – mit solchen Zuschreibungen würden sich weder Drittmittel auftreiben noch eine größere Öffentlichkeit mobilisieren lassen. Muß man also von Glück sprechen, daß die Universität Königsberg die gegenwärtig überall forcierten Methoden der Evaluation noch nicht hatte praktizieren können?
    »Evaluation« gehört mit Begriffen wie Qualitätssicherung und Qualitätssteigerung, Internationalisierung und Effizienz, Elitenbildung und Forschungsoffensive, Wettbewerb und Wissensbilanz, Drittmittel und Projektorientierung, Bologna-Architektur und PISA-Studie zu jenen Zauberwörtern, welche das bildungspolitische Denken in einer Weise blockieren, die es kaum mehr erlaubt zu erkennen, was sich hinter dieser Begriffsinflation tatsächlich verbirgt. Dabei funktionieren alle diese Begriffe nach einem einfachen Schema: Sie bezeichnen nie das, was die Wortbedeutung nahelegt, verbergen aber, was durch sie tatsächlich indiziert wird. Gelingen kann dieses Täuschungsmanöver nur, weil alle diese Begriffe dem Prinzip der performativen Selbstimmunisierung gehorchen.
    Wer Evaluation, Qualitätssicherung oder Internationalisierung sagt, hat immer schon gewonnen, da diese Begriffe ihre Negation nur um den Preis der Selbstbeschädigung zulassen. Denn natürlich will niemand in den Verdacht geraten, Leistungen nicht messen zu wollen, der Qualität kein

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