Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)
sind, plakativ und undifferenziert zu argumentieren, kratzte an jenem Elitestatus, der sich immer mehr äußeren Zuschreibungen und Attitüden verdankt und sich immer weniger der Sache des Denkens verpflichtet fühlt.
Für die Geisteswissenschaften hält das Elite- und Exzellenzkonzept noch andere Tücken bereit. Im Gegensatz zur angewandten naturwissenschaftlichen Forschung besteht der Nutzen der Geisteswissenschaften nicht in Produkten und Technologien, deren Gebrauch keinerlei Verständnis ihrer wissenschaftlichen Grundlagen erfordert, sondern in der öffentlichen Wirksamkeit der Wissenschaft selbst. Wer sich einen Plasmabildschirm kauft, muß nichts von jener Forschung verstehen, die zur Entwicklung dieser Technologie geführt hat. Wo es allerdings um die gesellschaftliche Relevanz wissenschaftlicher Theorien und Erkenntnisse geht – von der Gentechnik bis zur Erforschung der Geschlechterdifferenz, von der Ökonomie bis zur Medientheorie –, wird der Bürger, der aus diesem Diskurs ausgeschlossen wird, obwohl er letztlich politisch gerade bei solchen Fragen mitentscheiden soll, tendenziell entmündigt.
Finanzwissenschaftler, die sich im Business English über jene Steuern austauschen, die sie einer Bevölkerung aufzubrummen gedenken, die sich schon deshalb nicht mehr wehren kann, weil sie eine andere Sprache spricht, etablieren sich in der Tat als eine Elite, der es nicht mehr darum geht, den Dialog und die Auseinandersetzung mit jenen zu suchen, die letztlich der eigentliche Adressat ihrer Arbeit sind. Einer Sozial- oder Geschichtswissenschaft, die von der angeblichen Zielgruppe ihrer Forschung gar nicht mehr verstanden werden will, ist ein antiaufklärerischer Impuls strukturell eingeschrieben. Die Kritik an hermetisch organisierten wissenschaftlichen Fachsprachen, die in den Wissenschaften notwendig, aber dort verfehlt sind, wo eine interessierte Öffentlichkeit auf einem angemessenen Niveau informiert werden soll, behält ihre Triftigkeit auch dort, wo irritierte Bürger von Experten mit Anglizismen zugedeckt und so beruhigt werden.
Die Geisteswissenschaften stehen einer paradoxen Situation gegenüber: Ihre wissenschaftliche Exzellenz wird allein nach den Standards der internationalen Gutachterkartelle gemessen; gleichzeitig sollen sie ihre Nützlichkeit durch Publizität und öffentliche Auftritte demonstrieren. Was immer sie machen, wird sie nicht retten. Auch die besten internationalen Referenzen schützen traditionsreiche historische Institute und philosophische Fakultäten nicht vor der Schließung, und wer auf große Publizität vor Ort selbst verweisen kann, wird mangels Internationalität ebenfalls kritisiert. Besser wäre es, anstatt sich dem Zeitgeist und seinen Kapriolen anzubiedern, gleich bei der Sache zu bleiben und, wenn es denn sein muß, mit dieser zu verschwinden.
Ist von Eliten und Exzellenzen die Rede, denkt aber ohnehin niemand an Geistes- oder Kulturwissenschaften. Wie innovativ, seriös und anerkannt diese auch immer verfahren mögen – die Chance, in ein Exzellenzprogramm aufgenommen zu werden, haben sie nur dann, wenn sie den einzigen Mehrwert versprechen, den Geisteswissenschaften versprechen können: ideologische Dienstleitung. Unter den vier (sic!) geistes- und sozialwissenschaftlichen Programmen, die die erste Runde des Exzellenzwettbewerbs der deutschen Universitäten überhaupt überstanden haben, fanden sich dann solch sinnige Projekte wie »Media: Material Conditions and Cultural Practice« oder »Kulturelle Grundlagen von Integration«. Diese Verschwisterung von Zeitgeist und Exzellenz sagt alles über die Chancen genuin geisteswissenschaftlicher Arbeit in der Welt der Eliten. Diese selbst ist dominiert von den technisch orientierten Naturwissenschaften.
Die meisten Bemühungen, am europäischen Kontinent Wissenschaftseliten zu bilden, ranken sich um die Phantasmagorie eines Institute of Technology , das einzig geeignet erscheint, Europas Weltgeltung in den Wissenschaften zu behaupten. Anrüchig ist dabei nicht der Versuch, Forschungsleistungen zu bündeln und zu koordinieren und unter besten Bedingungen auf denkbar höchstem Niveau zu etablieren, sondern die bornierte Vorstellung, wissenschaftliche Reputation ließe sich am Reißbrett planen und per EU-Verordnung oder Landesgesetz durchsetzen. Die Wissenschaftsferne der Elitenbildner erweist sich nicht zuletzt an diesem Anspruch. Aber offenbar genügt es nicht, alles zu unternehmen, um die Rahmenbedingungen für
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