Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)
Kulturwelt sich, auch wenn es noch so praktisch wäre, für die Geisteswissenschaften ebenso auf eine internationale Verkehrssprache einigen könnte, wie sich das in der Naturforschung schon seit längerem anbahnt.« 63
Die nahezu widerstandslose Akzeptanz des Englischen als Kongreß- und Verkehrssprache auch der Geisteswissenschaften deutet an, daß der Zusammenhang zwischen Sprache, Kultur, Geschichtsbewußtsein und Reflexionsvermögen, der für Gadamer noch evident gewesen war, seine Gültigkeit verloren hat. Geblendet vom Phantasma der Internationalisierung und ängstlich darauf bedacht, nur ja nicht in den Geruch nationaler oder gar nationalistischer Denkweisen zu geraten, haben die Geisteswissenschaften vor allem des deutschsprachigen Raumes darauf verzichtet, diesen Transformationsprozeß selbst zu einem Gegenstand der kritischen Reflexion zu machen. Darüber zu räsonieren, was an Präzision, Kenntnis und Differenzierungsvermögen verlorengeht, wenn dort, wo es um Sprache und Sprachgebundenheit selbst geht, in einer fremden Sprache gesprochen, geschrieben und gedacht werden muß, gilt als höchst unfein. Darüber redet man nicht, denn wo die Weltelite winkt, will sich niemand zur Provinz Europa und ihrer Vielfalt rechnen lassen. Die Bekenntnisse zum kulturellen Pluralismus erfolgen so in der Regel in einer normierten Einheitssprache.
Die Wissenseliten zeichnen sich so nicht unbedingt durch Originalität und Kreativität aus, sondern vorab durch ein äußerliches Merkmal: die Verwendung des Englischen. Das kann, wie bei allen Signaturen von Eliten, ziemlich skurrile Züge annehmen: Wenn bei in Deutschland stattfindenden Tagungen aus Deutschland stammende Vortragende vor einem deutschsprachigen Publikum englisch sprechen, um ihre Internationalität zu beweisen, dann ist das mindestens so abstrus wie die Tatsache, daß Projektanträge über ein Thema der österreichischen Literaturgeschichte auf englisch abgefaßt werden müssen; und ob es zur Internationalisierung beiträgt, wenn eine inneralpine Universität die Stätten ihrer physischen Notdurft statt mit dem aus dem Englischen stammenden WC nun mit dem amerikanischen restroom signiert, mag dahingestellt bleiben; ob die Unsitte, akademische Abschlüsse, Studiengänge, Institutsbezeichnungen, Doktoratsprogramme und Forschungsprojekte nur noch mit englischen Titeln zu versehen, tatsächlich Weltspitze signalisiert oder diese nur vorgaukelt, wäre zu diskutieren. Daß man den Elitekollegen aus Übersee nicht einmal jenen Rest an Sprachkompetenz zutraut, der es ihnen zum Beispiel ermöglichen könnte, einen exotischen Terminus wie »Universität Wien« korrekt zu identifizieren, mußte notgedrungen – man will nicht falsch lokalisiert werden – dazu führen, daß die einstige Alma Mater Rudolphina zumindest im offiziellen Briefverkehr nun auch »University of Vienna« heißt. Daß solche Unterwürfigkeit der zum Idol erhobenen angelsächsischen Wissenschaftskultur sprachliches Idiotentum unterstellt, gehört dabei zu den zahlreichen unfreiwilligen Pointen dieser Geschichte.
Aber das sind Kleinigkeiten, Teil jener Absurditäten, die zu den verschmerzbaren Folgekosten der Globalisierung gerechnet werden müssen. Schwerer wiegt, daß auch über die Kehrseiten jener Entwicklungen nicht mehr gesprochen werden darf, die den von Gadamer behaupteten Zusammenhang zwischen Sprache und Kultur aufbrechen. Das Erlernen fremder Sprachen, so Friedrich Nietzsche an einer Stelle in Menschliches, Allzumenschliches , füllt nicht nur das Gedächtnis mit Worten statt mit Gedanken, sondern ist die »Axt, welche dem feineren Sprachgefühl innerhalb der Muttersprache an die Wurzel gelegt wird: dieses wird dadurch unheilbar beschädigt und zu Grunde gerichtet«. Und er fügte hinzu: »Die beiden Völker, welche die grössten Stilisten erzeugten, Griechen und Franzosen, lernten keine fremden Sprachen.« 64
Im selben Atemzug hatte Nietzsche allerdings für den Kosmopolitismus und die Notwendigkeit einer weltweiten einheitlichen Verkehrssprache plädiert – dies hinderte ihn jedoch nicht, den Preis zu erkennen, der für diesen Fortschritt zu zahlen ist. Über den Verlust an Stil, an Feingefühl, an Nuancenreichtum zu sprechen, den die neuen internationalen Sprachstandards mit sich bringen, und darüber, was dies für die Qualität des Gedachten und Geschriebenen bedeutet, verbietet sich heute allerdings von selbst. Zuzugeben, daß gerade die neuen Wissenseliten mitunter gezwungen
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