Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)
aber gut ausgestatteter Institute zu fordern, damit – zumindest in Wissenschaften mit Marktchancen – eine ungestörte Forschung möglich ist? Warum differenziert man nicht zwischen höheren Berufsschulen, zu denen die meisten sogenannten Universitäten gehören, und jenen Einrichtungen, an denen tatsächlich durchgängig an der Einheit von Forschung und Lehre orientierte Bildungsgänge angeboten werden? Warum die Ausweitung des Universitätsbegriffs auf nahezu alle postsekundären Ausbildungen und gleichzeitig der Ruf nach Elite und Exzellenz?
Die neue Liebe zu diesen alten Begriffen speist sich aus wissenschafts- und forschungspolitischen sowie sozialpolitischen Motiven. Elite kann immer nur als Gemeinschaft gedacht werden – die Gemeinschaft der Auserlesenen. Einmal abgesehen von der Frage, wer nach welchen Kriterien diese Auslese vornimmt, geht es bei Elitenbildung um die Konstitution einer sozialen Einheit, die sich durch eine eigentümliche Differenz gegenüber allen anderen konstituiert: Diese sind nämlich per definitionem einfach die Schlechteren. Die betuliche Versicherung der Elitenbildner, daß es dabei um funktionale Eliten gehe, um Leistungseliten, und daß niemand daran denke, aus der Tatsache wissenschaftlicher Spitzenleistungen soziale Privilegien abzuleiten, ist ein Märchen. Dort, wo es funktionierende Eliteuniversitäten gibt, fungieren diese nicht nur als hervorragende Plätze für Forschung und mitunter für Lehre, sondern vor allem auch als Produktions- und Reproduktionsstätten sozialer Zugehörigkeiten, die bei weitem nicht mit den intellektuellen Ansprüchen korrelieren, die man an eine Elite stellen möchte.
Die Internationalisierung der Wissenschaften ist ein weltweiter sozialer Segregationsprozeß, in dem sich eine schmale Schicht herauskristallisiert, deren Mitglieder in der Regel nur mehr mit ihresgleichen kommunizieren, sich von ihresgleichen bewerten lassen und mit ihresgleichen durch Rituale, Verbindungen und wechselseitige Hilfestellungen bei aller Konkurrenz eine verschworene Gemeinschaft bilden. Dem wissenschaftlichen Fortschritt sind institutionalisierte Elitenbildungen übrigens nicht sonderlich dienlich: Sie erzeugen einen informellen Druck zur sozialen und intellektuellen Anpassung und sabotieren jene unorthodoxen und abseitigen Charaktere, ohne die es keine Innovationen gäbe.
Das Konzept der Wissenseliten nimmt den seit der Moderne zum Programm erhobenen exoterischen Charakter der Wissenschaften, ihre Öffentlichkeit und ihren Anspruch, selbst an der Aufklärung mitzuwirken und diese mitzutragen, in einem rasanten Tempo zurück. Eliten sondern sich ab, vorrangig einmal durch die Sprache, die sie verwenden. Man muß die rasche Etablierung des Englischen als alleinige Wissenschaftssprache ja nicht gleich als puren Sprachimperialismus 59 diskreditieren – bei allem Wettbewerbsvorteil, den native speakers gegenüber jenen haben, die diese Sprache erst erwerben müssen, sind die Erleichterungen in der Kommunikation unübersehbar –, aber man soll auch nicht die Augen davor verschließen, daß in dem Maße, in dem nationale Sprachen aufhören, auch Wissenschaftssprachen zu sein, genau jenes Motiv außer Kraft gesetzt wird, das in und durch die Aufklärung dazu geführt hatte, die einstige Wissenschaftssprache Latein durch die Volkssprachen zu ersetzen.
Wissenschaft, forderte Christian Thomasius im späten 17. Jahrhundert, sollte sich an alle richten und nicht nur an den elitären Zirkel der Gelehrten, 60 und für Immanuel Kant war Wissenschaft untrennbar verbunden mit dem, was er öffentlichen Vernunftgebrauch genannt hatte. 61 Daß nun auch in nicht englischsprachigen Ländern immer mehr gehobene Studiengänge in Englisch angeboten werden, mag die erwünschte Internationalisierung befördern, enthält aber die Gefahr, daß für entscheidende Bereiche aus den Wissenschaften, der Technik, der Ökonomie und zunehmend auch der Politik und des Rechts in der eigenen Sprache schlicht die Begrifflichkeiten fehlen. Wer beobachtet hat, wie ein Experte verzweifelt nach dem muttersprachlichen Wort für jenen Begriff sucht, der ihm nur mehr als englischer Terminus geläufig ist, ahnt, welche Entwicklung sich hier abzeichnet. Zuerst findet man das Wort nicht mehr, dann weiß man nicht mehr, daß es dafür einmal ein deutsches Wort gegeben hat, dann gibt es dieses Wort nicht mehr.
Jenseits der unbestreitbaren Vorteile, die diese Entwicklung für die Scientific community bringt,
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