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Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)

Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)

Titel: Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Konrad Paul Liessmann
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– etwa bei Erasmus von Rotterdam oder John Owen – findet, könnte schon wieder interessant sein, denn dieses lautet: »Der Mensch ist ein Gott für den Menschen« und: »Der Mensch ist ein Wolf für den Menschen.« 8 Als Einzelwesen wird der Mensch für seinesgleichen zur Gefahr, im sozialen Verband aber zu seinem Segen.
    Es ist diese Ambivalenz, die Doppelnatur des Menschen, die Hobbes interessierte. Ob man dann noch wissen sollte, daß die Wolfsformel in ihrer klassischen Prägung eigentlich aus der Asinaria , der Eselskomödie des Plautus stammt, könnte man offen lassen. Immerhin: Arthur Schopenhauer und Sigmund Freud, beide in bezug auf die Natur des Menschen ziemlich illusionslos, zitieren diesen Satz, obgleich sie Hobbes natürlich kannten, aus der Komödie des Plautus. 9 Daß dieser Satz allerdings schon bei Plautus den Charakter einer verbürgten Redensart hatte und, so nebenbei, nicht den mordenden oder räuberischen, sondern nur den unberechenbaren Menschen meinte, das muß man allerdings wirklich nicht mehr wissen.
    Irgendwo zwischen der bedeutungsschwangeren Bemerkung »Tja, Hobbes!« und der intimen Kenntnis der römischen Komödiendichtung verläuft wohl die einstens schillernde Grenze zwischen allgemeiner Bildung und purer Gelehrsamkeit. Mit dem Verschwinden nicht nur des Bildungsbürgers, sondern auch des Gelehrten als einer spezifischen Erscheinungsform des neuzeitlichen Wissens hat diese Grenze und die durch sie provozierte Spannung ihre Attraktion eingebüßt.
    Was also muß man wirklich wissen? Diese Frage wird nicht leichter, wenn man weiß, daß man die Genese und Geschichte der Homo-homini-lupus-Formel relativ einfach im Internet recherchieren kann. Bei Party-Gesprächen macht es sich in der Regel nicht so gut, wenn man sich mit seinem Hochleistungsmobiltelephon in eine stille Ecke zurückzieht, das Web en miniature durchforstet und nach geraumer Zeit in die Gesprächsrunde, die schon längst bei der neuesten Aufführung des lokalen Tanztheaters angelangt ist, mit der Neuigkeit hineinplatzt, daß der Hobbes zugeschriebene finstere Satz über die bestialische Natur des Menschen einer zwar derben, nichtsdestotrotz aber eher fröhlichen antiken Komödie entstammt. Gerade in solchen Situationen erweist sich der Satz, daß es nicht auf gegenständliches Wissen, sondern nur darauf ankomme zu wissen, wo man nachzuschauen hat, als trügerisches Versprechen. Und auch wenn man weiß, wo und wie man Wissen abrufen kann: Es wird immer nur ein lexikalisches Wissen sein können, über das man in dieser äußerlichen Form verfügen kann. Dort, wo es um Sinn, um Bedeutung, um Zusammenhänge und um Verständnis geht, wird solches Wissen nur dann weiterhelfen, wenn mehr gewußt wird als die Pfade von Suchoptionen.
    Aber vielleicht ist weniger sogar mehr. Vielleicht genügt es, um in einem praktischen Sinn gebildet zu sein – Hobbes hin, Plautus her –, einfach zu wissen, daß Menschen einander in der Regel auf der Suche nach Vorteilen mißtrauisch belauern und daß die Wettbewerbsgesellschaft diese wölfische Attitüde zum gefeierten Prinzip erhoben hat. Wie auch immer: Wer bei der großen Rateshow auf die Frage nach dem Autor des Satzes, der den Menschen zum Wolf des Menschen erklärte, zwischen Plautus, Hobbes, Schopenhauer und Freud richtig tippt, der wird Millionär!

2.
Was weiß die Wissensgesellschaft?
    D ER mittlerweile ubiquitär gewordene Gebrauch des Terminus »Wissensgesellschaft« zur Charakterisierung der Gegenwart könnte Anlaß zu Stolz und Freude sein. Eine Gesellschaft, die sich selbst durch das »Wissen« definiert, könnte als eine Sozietät gedacht werden, in der Vernunft und Einsicht, Abwägen und Vorsicht, langfristiges Denken und kluge Überlegung, wissenschaftliche Neugier und kritische Selbstreflexion, das Sammeln von Argumenten und Überprüfen von Hypothesen endlich die Oberhand über Irrationalität und Ideologie, Aberglaube und Einbildung, Gier und Geistlosigkeit gewonnen haben. Jeder Blick auf die rezente Gesellschaft aber zeigt, daß das Wissen dieser Gesellschaft nichts mit dem zu tun hat, was in der europäischen Tradition seit der Antike mit den Tugenden der Einsicht, lebenspraktischen Klugheit, letztlich mit Weisheit assoziiert wurde.
    Die Wissensgesellschaft ist keine besonders kluge Gesellschaft. Die Irrtümer und Fehler, die in ihr gemacht werden, die Kurzsichtigkeit und Aggressivität, die in ihr herrschen, sind nicht geringer als in anderen Gesellschaften, und ob

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