Theres
Augenblick stärker als Licht und Luft hinter und vor ihr. Sie raucht, denkt: Man muss sich rüsten; wenn nötig, in das Schwarze hineingehen. Das Schwarze werden.
*
Gegen Weihnachten desselben Jahres bricht sie auf eigenen Wunsch jeden weiteren Kontakt zu ihren Kindern ab. Genannter Grund: Ihr Besuch ist ein Störfaktor. Die Kinder hindern sie am Denken.
Im legalen Land
Der Vivisekteur in seinem Lehnstuhl. Herold, inzwischen ein geachteter Mann, wehrt das Sperrfeuer von Journalistenfragen mit einem offenen, freigebigen Lächeln ab, sagt, er seinerseits sehe der Zukunft zuversichtlich entgegen, und unterstreicht den Wahrheitsgehalt seiner Worte, indem er ankündigt, dass er ein paar Wochen »auf dem Land mit Baden und Angeln« zu verbringen gedenke. Natürlich gibt es keinen Grund zur Beunruhigung einer in dem Glauben eingelullten Öffentlichkeit, dass jegliche Ordnung wiederhergestellt ist, weil der Kerntrupp der RAF hinter Schloss und Riegel sitzt. Dennoch ist Herold beunruhigt. Der Grund dafür ist deutlich ablesbar auf der Karte, angepinnt über der alten Logistikkarte aus den ersten hektischen Jahren der Terrorismusbekämpfung. Hinter den »Anschlagsorten«, die eine Wundlinie von Autodiebstählen, Banküberfällen, Bombenanschlägen, aufgeflogenen Wohnungen und Kommandozentralen von Kiel im Norden bis nach Freiburg im Süden ziehen, leuchten mit hellem weißen Schein die Gefängnisorte, in denen die RAF -Mitglieder jetzt in Erwartung ihrer Verfahren sitzen: Baader in Schwalmstadt, Ensslin in Essen, Meins in Wittlich, Müller in Hamburg, Meinhof und Raspe in Köln. Es erfordert kein größeres Maß an Phantasie, um zu sehen, dass zwischen diesen Orten ein Netz von Verbindungen geknüpft wird, auch nicht um zu begreifen, wer die Verknüpfer sind. Nach der agitatorischen Tätigkeit zu urteilen, die in der Presse und den restlichen Medien betrieben wird, pendeln die Anwälte – die Herren Croissant , Groenewold und Schily – ununterbrochen zwischen Justizanstalten und Pressezentren. Doch obgleich zahlreiche Belege vorliegen, auch was die Art der verbreiteten Information anbetrifft, können Polizei und Staatsanwaltschaft nur äußerst wenig tun. Ein neues Terroristengesetz wird gebraucht, damit aber ein solches zustande kommen kann, sind politische Beschlüsse erforderlich, und Politiker sind bekanntermaßenängstliche Seelen: Sie müssen nicht nur auf die Erfordernisse des Rechtsstaats Rücksicht nehmen, sondern auch auf das, was zur Beruhigung der sogenannten »öffentlichen Meinung« notwendig ist, und was die »öffentliche Meinung« sagt, lässt sich leicht zusammenfassen: Ein Häftling in Freiheit ist ein verhasstes Ungeheuer, derselbe Häftling in Gewahrsam: ein Märtyrer. Ungeachtet dessen sitzt Herold zusammen mit Siegfried Buback und anderen Vertretern der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe an einem Entwurf, wie ein solches neues Terroristengesetz möglicherweise aussehen könnte. Das Codewort lautet jetzt (wie bereits früher): gezielte Maßnahmen . Jetzt wie bereits früher ist das Ziel nicht, den Gegner auszuschalten (was auf die »öffentliche Meinung« eine unvorteilhafte Wirkung hätte), sondern vielmehr dessen militante Zweige zu isolieren und auf diese Weise die Handlungsmöglichkeiten der Verteidiger zu beschneiden. Ein Entwurf zur Änderung der gegenwärtigen Terrorismusgesetzgebung sollte in erster Linie folgende Punkte berücksichtigen – diskret wird das Papier auf die Politikerseite am Sitzungstisch hinübergeschoben:
a) als strafbar soll nicht nur wie bisher das Begehen von Terroraktionen gelten, sondern auch die Mitgliedschaft in Vereinigungen, Zusammenschlüssen und Bündnissen, deren erklärte Absicht es ist, derartige Aktionen durchzuführen
b) jeder Rechtsanwalt, der im Verdacht steht, Terroraktionen zu unterstützen, zu derartigen aufzurufen oder aktiv an ihnen teilzunehmen, soll automatisch von allen Verhandlungen ausgeschlossen werden; oder (wenn der Fall als besonders gravierend gilt) mit Berufsverbot belegt werden
c) ein Angeklagter soll in der Folge lediglich von einem Rechtsanwalt verteidigt werden können.
Herold und Buback sind besonders stolz auf den letztgenannten Punkt. Hierdurch wird effektiv verhindert, dass das künftige Verfahren zu einem Gemeinschaftsprozess wird, und das Risiko minimiert, dass die politischen Überzeugungen der Angeklagten zum zentralen Punkt innerhalb der Verhandlungen werden. (Auch Verbrechen, die aus ideologischenGründen begangen werden,
Weitere Kostenlose Bücher