Theres
müssen mit jeder anderen Form von Kriminalität gleichgestellt werden.)
Aber als diese Gesetze im Bundestag (vergleiche die Paragraphen 129a und 138a im deutschen Strafgesetzbuch) verabschiedet werden, ist Herold der Erste, der für eine glimpfliche Handhabung derselben eintritt. Wenn die RAF ihr Netz ausbaut, muss das BKA selbstverständlich mit Gegenmaßnahmen kontern. Doch zugleich geben sich Sympathisanten und Verteidiger gerade über das Netz der RAF zu erkennen. Diese Verbindungen zu kappen wäre kontraproduktiv, um nicht zu sagen direkt schädlich für die weitere Arbeit der Staatsanwaltschaft. Stattdessen muss das BKA ein eigenes Netz aufbauen, das jenes der RAF sowohl überlappt als auch »beschattet« und das zugleich als absichernde Kontrollinstanz sowie auch als Werkzeug für Einblick und Abhören dient. Der Aufbau eines solchen Gegennetzes benötigt Zeit, und wenn die Aufbauphase erst abgeschlossen ist, beginnt eine Periode der Abstimmung. Da geht es dann darum, die beiden Netze ineinander zu verhaken und – straff an manchen Stellen, schlaff an anderen – die richtigen Signale am richtigen Ort und zum richtigen Zeitpunkt abzugeben, eine Arbeit, die größeres Fingerspitzengefühl erfordert, als es selbst der geschickteste Klavierstimmer besitzt.
Nach monatelangen Feinjustierungen sind die beiden Netze miteinander verknüpft, und Herold kann sich vorbeugen, sein Ohr daran legen und lauschen. Was hört er da?
*
Zunächst nichts, oder jedenfalls sehr wenig. Das Geräusch einer Toilettenspülung, das Knacken von Sprungfedern; das rhythmische Knattern einer Schreibmaschine bis tief in die Nacht. Das ist alles, und wie alle Alltagsgeräusche verschmelzen sie und lassen sich nur mit äußerster Schwierigkeit voneinander unterscheiden. Herold verspürt zunehmende Frustration. Zu Beginn, als sich die RAF -Häftlinge noch auf freiem Fuß befanden, schien man ihr Verhalten und ihre Reaktionen relativ leicht verstehen und ihnen zuvorkommen zu können. (Auffallend viele ihrer Anschläge ließen sich als defensive Zwangsmaßnahmenauslegen: die RAF -Mitglieder fühlten sich »bedrängt«; sie reagierten, indem sie »zurückschlugen«). Jetzt gibt es einfach zu viele Variablen. Die Gefängnismauern verhindern jeden Einblick, und wer kann schon mit Sicherheit sagen, wie sich ein Mensch nach monatelangem Eingesperrtsein verhält, ohne regelmäßigen Kontakt zu anderen Menschen, ausgenommen zum diensthabenden Anstaltspersonal?
Die Situation wird noch weiter kompliziert durch die Tatsache, dass die Gefangenen Gewalt gegen sich selbst ausüben. Mit einem Eifer, der ebenso darauf zielt, der Umwelt zu imponieren, wie auch die innere Moral zu stärken, weigern sie sich über Wochen, jede Form von Nahrung zu sich zu nehmen, bis sie derart geschwächt sind, dass sie den Sanitätsbeamten keinen Widerstand mehr entgegenzusetzen vermögen und infolgedessen mittels künstlicher Ernährung ins Leben zurückgeholt werden. Eine intensive Debatte setzt ein, ob diese Zwangsmaßnahmen mit der deutschen Rechtspraxis vereinbar sind oder nicht ( Hat man das Recht, einen Menschen, der sterben will, mit Gewalt am Sterben zu hindern? ), eine Debatte, die natürlich nur ein einziger gewaltiger Verschleierungsversuch ist: denn in der Zwischenzeit lassen die Anwälte keinerlei Anstrengungen aus, die Hungerstreiks zu nutzen, um somit auf die in deutschen Strafanstalten herrschenden menschenunwürdigen Bedingungen aufmerksam zu machen. Die deutsche Öffentlichkeit wird mit einem neuen Begriff konfrontiert, Isolationsfolter ; Unterstützerkreise werden gebildet ( Komitees gegen Folter an politischen Gefangenen in der BRD , eine selbstverständliche Rekrutierungsbasis der RAF ) und »die öffentliche Meinung« bebt vor Entrüstung und Zorn.
Somit lassen sich durch die Netzmaschen zwei Bühnen erkennen. Auf der einen, bis ins Unerträgliche erleuchtet, rennen die Anwälte in ihren farbigen Narrenkostümen umher, halten lautstarke Monologe, schlagen publikumswirksame Saltos und speien Gift und Galle über den deutschen Rechtsstaat und dessen Verteidiger, Polizeibehörde und Staatsanwaltschaft; auf der anderen Bühne, in ebenso unerträgliches Dunkel versenkt, hungern die Gefangenen und werden unaufhörlich ins Leben zurückgeholt: Was sich bei der Begegnung zwischen ihnen abspielt, entzieht sich jedem Blick oder aufmerksam lauschenden Ohr.Dass etwas geschieht und dass unaufhörlich neue Verbindungen geknüpft werden, davon zeugt Herolds
Weitere Kostenlose Bücher