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Theres

Theres

Titel: Theres Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Sem-Sandberg
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Außenwelt; sie ist und bleibt dieselbe wie diejenige, in der sie einst lebte und tätig war. Die Gegensätze sind jedenfalls dieselben, und das beruhigt.
    Diese Außenwelt aber erreicht sie nur in filtrierter Form: durch die Bulletins und Gefängniszirkulare, die regelmäßig von Groenewolds Kanzlei verschickt werden. So liest sie von der Aktion des Schwarzen Septembers bei der Olympiade in München, dem Anschlag auf das israelische »Bollwerk« und die anschließende Geiselnahme. Obgleich die Angaben zunächst unklar sind (in wessen Auftrag handelten die Palästinenser, und wer ordnete den deutschen Polizeieinsatz an?) bleiben die Vorkommnisse in München dennoch reale Ereignisse in einer Außenwelt, etwas Konkretes, an dem man die Gedanken festmachenkann, wenn wieder alles – außer dem Licht in der Zelle – ins Schwanken gerät.
    Ulrike an ihrer schwarz-weißen Reiseschreibmaschine, zieht Marx heran; schreibt:
    Proletarische Revolutionen kritisieren beständig sich selbst, unterbrechen sich fortwährend in ihrem eigenen Lauf, kommen auf das scheinbar Vollbrachte zurück, um es wieder von neuem anzufangen, verhöhnen grausam-gründlich die Halbheiten, Schwächen und Erbärmlichkeiten ihrer ersten Versuche, scheinen ihren Gegner niederzuwerfen, damit er neue Kräfte aus der Erde sauge und sich riesenhaft ihnen gegenüber wieder aufrichte, schrecken stets von neuem zurück vor der unbestimmten Ungeheuerlichkeit ihrer eigenen Zwecke, bis die Situation geschaffen ist, die jede Umkehr unmöglich macht, und die Verhältnisse selbst rufen:
    HIC RHODOS , HIC SALTA !
    HIER IST DIE ROSE , HIER TANZE !
    Sie denkt; schreibt:
    Die Aktion des Schwarzen September in München hat das Wesen imperialistischer Herrschaft und des antiimperialistischen Kampfes auf eine Weise durchschaubar und erkennbar gemacht wie noch keine revolutionäre Aktion in Westdeutschland und Westberlin. Sie hat eine Menschlichkeit dokumentiert, die vom Bewusstsein bestimmt ist, gegen dasjenige Herrschaftssystem zu kämpfen, das als das historisch letzte System von Klassenherrschaft gleichzeitig das blutrünstigste und abgefeimteste ist, das es je gab: gegen den seinem Wesen und seiner Tendenz nach durch und durch faschistischen Imperialismus – in welcher Charaktermaske auch immer er sich selbst am besten repräsentiert findet: Nixon und Brandt, Moshe Dayan oder Genscher, Golda Meir oder Mc Govern .
    Schwarz auf weiß; die Blutspuren deutlich auf den verhassten Potemkinkulissen des Olympiadorfes. Eine Aktion, die keinen Platz lässt für anbiedernde Gegenaktionen, für vorsichtiges Taktieren mit längst korrupten Politikern und falschen Beschützern des sogenannten deutschen »Rechtsstaates«; kein angstvolles Appellieren an vom Gewissen geplagte Menschenrechtsorganisationen: eine Rede im Klartext .
    Aufs Papier gebracht, gibt es jedoch allen Grund, sich um den Inhalt des Manifestes zu kümmern. Ulrike klammert die Seiten zusammen, schickt sie jedoch nicht an Ensslin zur üblichen Durchsicht und zum Erhalt des O. K. Es gibt andere Kanäle, einige von ihnen nach wie vor offen, und sie lässt den Text durch sie passieren. Wartet dann auf Ensslins Reaktion.
    *
    Ensslin an Meinhof (mit interner Post):
    Was für eine verdammte SCHEISSE ! Warum hast du uns das nicht vorher lesen lassen? Die Frage ist natürlich wichtig, weil du verrückt bist, das wegzulassen, was uns die zwei Jahre Praxis gebracht haben.
    Meinhof an Ensslin (mit zurückgehender Post):
    Materielle Vernichtung von imperialistischer Herrschaft. Zerstörung des Mythos von der Allmacht des Systems. Im materiellen Angriff die propagandistische Aktion: DER AKT DER BEFREIUNG IM AKT DER VERNICHTUNG !
    *
    Später September; kalter Regen bildet Streifen auf den schräggestellten Fenstern im oberen Zellengeschoss. Ulrike steht am Fensterkreuz und raucht, das Licht hinter ihr brennt – es brennt immer. Doch nun zum ersten Mal eine Möglichkeit, sich dessen Existenz physisch, zumindest für einen Augenblick, wegzudenken. Von draußen ertönt dröhnendesMotorengeräusch, nimmt an Stärke zu, wird zu lautem, eintönigem Heulen: dann durchschneidet der schwarze Polizeihubschrauber das Fensterkreuz, und die beiden Strahlenbündel der Scheinwerfer bilden gleichsam ein zweites Kreuz in der schweren, regensatten Luft; rote Warnlichter fallen in die Regenstreifen auf der Scheibe, als der Hubschrauber seitwärts kippt, dann vorbeistreicht auf seinem Flug schräg nach oben über die Dächer: das Knatterecho einen

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