Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser
seine Frau zur Vorsicht riet. Die radikale Rechte zu reizen, die sich gerade etablierte, schien ein Risiko. Immerhin wäre in dem Aufsatz schon eine Wendung gegen die «kulturelle Reaktion» gestanden, «von der der Hakenkreuz-Unfug ein plump-popu lä rer Ausdruck ist».[ 37 ]
Früher als Thomas Mann hat kaum ein Schriftsteller die Hitlerbewegung ins Visier genommen. Er hat sie konsequent bekämpft, wurde schon früh für einen Juden gehalten,[ 38 ] von den nationalsozialistischen Behörden dezidiert als Judengenosse betrachtet,[ 39 ] mußte 1933 seine Heimat verlassen, hatte einen jüdischen Verleger, eine Frau aus jüdischem Hause, zahlreiche jüdische Freunde, reiste 1930 nach Jerusalem und setzte sich 1948 für die Gründung des Staates Israel ein.[ 40 ] Stellungnahmen und andere Hilfen für jüdische Belange durchziehen sein ganzes Leben.
Das trotzdem immer wieder aufflackernde Gerücht, er sei Antisemit gewesen, bedarf der sehr fragwürdigen Grundannahme, öffentlich bekundeter Philosemitismus sei eine Maske zur Verbergung von Antisemitismus. Es stützt sich ferner auf zwei oder drei Tagebuchstellen, die in einem fünftausend Seiten umfassenden Tagebuchwerk nur eine verschwindend geringe Rolle spielen. Es stützt sich schließlich vor allem auf das dichterische Werk. Hier gelten als Hauptbelege die Erzählung
Wälsungenblut
, mit ihrer Schilderung eines Geschwisterinzests in einer schwerreichenund schwer dekadenten jüdischen Familie, und jüdische Figuren im Romanwerk, von Hermann Hagenström in
Buddenbrooks
über Naphta im
Zauberberg
zu Saul Fitelberg und Chaim Breisacher im
Doktor Faustus
. Es liegt aber einfach am ästhetizistischen Grundprogramm, daß Juden mit der gleichen unbarmherzig durchschauenden Hellsicht beschrieben sind wie alle anderen Figuren, und daß man, wenn «eine Dame mit außerordentlich dickem schwarzen Haar und den größten Brillanten der Stadt an den Ohren, die übrigens Semlinger hieß», vorkommt,[ 41 ] nicht unbedingt ein antijüdisches Vorurteil als Grund dafür betrachten muß, sondern die Möglichkeit in Erwägung zu ziehen hat, daß Thomas Mann als guter Beobachter, der er war, in der Gesellschaft des Kaiserreichs tatsächlich schwerreiche jüdische Frauen mit auffallend großen Brillanten vorgefunden hat. Zur Objektivität, die der Erzähler Thomas Mann aufweist, gehören im übrigen auch die positiven jüdischen Figuren, von Doktor Sammet in
Königliche Hoheit
bis zu Abraham, Isaak, Jaakob und Joseph in
Joseph und seine Brüder.
Generell gilt auch für diesen Bereich, daß Thomas Mann zwar die Maske des Bürgers trug, aber ein Künstler war. Als Künstler gilt seine Sympathie immer den vom Leben der Gewöhnlichen Ausgeschlossenen, den Ausgestoßenen und Außenseitern. Als Künstler fühlt er sich zugehörig zur Gemeinschaft der Stigmatisierten und teilt deren wundes Selbstgefühl, dessen Spektrum vom Narzißmus bis zum Selbsthaß reicht, weshalb man auch abschätzige Äußerungen gegenüber der jüdischen Sphäre immerauch als eine Form von Solidarität und schmerzlicher Brüderlichkeit lesen kann.[ 42 ] Was Thomas Mann in
Königliche Hoheit
den jüdischen Arzt Doktor Sammet sagen läßt, ist jedenfalls gleichermaßen auf die Juden wie auf die Künstler gemünzt:
Kein gleichstellendes Prinzip, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf, wird je verhindern können, daß sich inmitten des gemeinsamen Lebens Ausnahmen und Sonderformen erhalten, die in einem erhabenen oder anrüchigen Sinne vor der bürgerlichen Norm ausgezeichnet sind. Der Einzelne wird gut tun, nicht nach der Art seiner Sonderstellung zu fragen, sondern in der Auszeichnung das Wesentliche zu sehen und jedenfalls eine außerordentliche Verpflichtung daraus abzuleiten. Man ist gegen die regelrechte und darum bequeme Mehrzahl nicht im Nachteil, sondern im Vorteil, wenn man eine Veranlassung mehr, als sie, zu ungewöhnlichen Leistungen hat.[ 43 ]
38
Dostojewski
Nach dem «Dreigestirn» Nietzsche, Wagner und Schopenhauer folgt in der Liste der großen Eideshelfer für die
Betrachtungen eines Unpolitischen
erst Goethe und dann Dostojewski. Thomas Mann hielt ihn mit Nietzsche für den größten Psychologen der Weltliteratur. Der genaue Zeitpunkt der ersten Lektüre ist nicht auszumachen, wird aber wohl spätestens um 1900 liegen. Nietzsches Bemerkungen über Dostojewski haben Mann wohl früh neugierig gemacht, und Dmitri Mereschkowskis Buch
Tolstoi und Dostojewski als Menschen und als Künstler
(Leipzig: Schulze
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