Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser
sondern auch später im amerikanischen Exil. Er spricht im Rundfunk und beliefert häufig die Tagespresse. Die hohe Präsenz im politischen Tageskampf ist neu. Sie ist ein Ergebnis des Lernprozesses, den die Erfahrung des Ersten Weltkriegs in Gang gesetzt hat.
Es kommt nun zu einer Art Spaltung zwischen Ästhetik und Ethik, zwischen Kunst und Moral, zwischen Dichtung und Politik. In seinen Dichtungen bleibt Thomas Mann auch weiterhin ein konsequenter Ästhet, der sich jeder außerkünstlerischen Tendenz widersetzt. Sie sollen freie Kunstwerke sein und nicht zu einem Transportmittel für politische Botschaften degradiert werden. Aber der Ästhetizist assoziiert sich einen Moralisten. Von Zeit zu Zeit nimmt er dessen Identität an, unterbricht die Arbeit an seinen zeitlosen Erzählgeweben, steigt hinab in die Arena des Tages und agitiert. Nietzscheaner als Ästhet, ist er ethisch Kantianer und protestantischer Christ, sobald er als politischer Redner und Essayist auftritt. Ganz und gar zu Hause fühlt er sich freilich in dieser Rolle nie. «Unleugbar hat ja das politische Moralisieren eines Künstlers etwas Komisches», sagte er 1952, zurückblickend auf seine Rolle als «Wanderredner der Demokratie».[ 3 ]
Sein essayistisches Werk besteht aus über 1200 Einzeltiteln und ist, rechnet man nur die Seitenzahlen zusammen, insgesamt fast so umfangreich wie das erzählerische Werk. Die politischen Äußerungen sinddarin nur ein wenn auch gewichtiges Segment. Neben ihnen stehen viele oft umfangreiche Essays zur Literatur (über Goethe, Schiller, Fontane, Tolstoi, Dostojewski, Tschechow und viele andere), zur Musik (hauptsächlich über Richard Wagner), zur Philosophie (über Nietzsche und Schopenhauer) und ganz vereinzelt auch zur Religion, ferner zahlreiche autobiographische Aufsätze sowie Interpretationen eigener Werke. Thomas Mann redete gern über sich selbst. Das ist weniger ein Zeichen von Selbstbewußtsein als vielmehr von Angst und Unsicherheit. Es war ihm nicht egal, wie man ihn sah. Es war ihm ein Bedürfnis, das Bild, das die Öffentlichkeit von ihm hatte, ständig zu korrigieren und zu kontrollieren. Freilich gab es dazu auch immer wieder Grund genug, da Böswilligkeit und Mißverständnis dieses Bild oft verdrehten und verzerrten.
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Der Zauberberg
Thomas Mann hätte seine neuen Erkenntnisse gern auch im Roman untergebracht. Nur ist ihm das nicht gelungen. Er hat es versucht, gleich in dem Produkt, an dem er gerade arbeitete, dem Roman
Der Zauberberg
. Ihm gibt er eine Art Lehre mit. «Der Mensch soll um der Güte und Liebe willen dem Tode keine Herrschaft einräumen über seine Gedanken.»[ 4 ] Das war leicht ins Politische übersetzbar. «Dem Tode keine Herrschaft», das hieß dem Abgelebten und Gewesenen, dem Kaiserreich keine Herrschaft einräumen. Der Herzensmonarchist bekennt, er wolle dem Tode Treue halten in seinem Herzen, aber der Vernunftrepublikanerwarnt: das Denken und Regieren dürfe diese Treue nicht bestimmen. Die erzromantische Sympathie mit Nacht und Tod, die einst der Essay
Süßer Schlaf
gefeiert hatte, wird nun in ihre Schranken gewiesen: In der Politik hat sie nichts zu suchen. Deren Reich ist die Helligkeit der Vernunft; nicht der Tod regiert in ihr, sondern das Leben. Aus der Liebe zum Leben resultiert dann die Liebe zur Republik.
So weit, so gut. Allerdings hätte das auch Tonio Kröger schon sagen können, als er, der einst dem Artisten Todeskälte zuschrieb, die Bürgerliebe zum Lebendigen und Gewöhnlichen zu preisen beginnt. Auch Prinz Klaus Heinrich, der Volksbeglücker, der von der einsamen Hoheit zum Leben und zur Liebe findet, hat diese Lehre verkündet. So daß diese im
Zauberberg
zwar republikanisch gemeint ist, aber so republikanisch gar nicht ist. Im Grunde genommen geht es immer um die alte Sehnsucht des Ästheten nach dem Leben, von dem er ausgeschlossen ist.
Die Lehre ist nicht nur nicht neu, sie wird auch noch demontiert und geschwächt. Sie wird dem Romanhelden Hans Castorp in den Mund gelegt, ist also nicht einfach eine Äußerung des Autors Thomas Mann, sondern eine Äußerung nur einer Figur. Die Eigengesetzlichkeit des ästhetizistischen Kunstwerks verlangt es, daß die Lehre abgeblendet wird, so daß es zwar erlaubt ist, sie wichtig zu nehmen, aber auch erlaubt ist, sie nicht wichtig zu nehmen. Jedwedes Pathos wird ironisiert. Hans Castorp empfängt seine Lehre in einem höchst reduzierten Zustand, im Schneetreiben wachträumend, benebelt und vom Portwein
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