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Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser

Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser

Titel: Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kurzke
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1903) findet sich in der Nachlaßbibliothek mit demBesitzvermerk « Thomas Mann . 1903». Dieses Buch habe «auf seine zwanzig Jahre» einen un aus löschlichen Eindruck gemacht, schreibt Mann 1921 in dem Essay
Russische Anthologie
.[ 44 ] Da er schon 28 Jahre alt war, als dieses Buch auf den Markt kam, muß man die Angabe so genau nicht nehmen. Seit 1906 erschienen die von Mereschkowski und Arthur Moeller van den Bruck herausgegebenen
Sämtlichen Werke
, die Mann erwarb. Die großen Romane –
Schuld und Sühne
und
Der Idiot
,
Die Dämonen
und
Die Brüder Karamasow
– lagen in dieser Ausgabe bis 1911 alle vor, ebenso die auf Dostojewskis Zwangsarbeitsjahre in Sibirien zurück gehen den
Aufzeichnungen aus einem Totenhaus
. Während des Ersten Weltkriegs wurde die Lektüre vertieft und um essayistische Schriften erweitert, kurz danach für den Essay
Goethe und Tolstoi
(1921/25) erneuert, und noch einmal bekennt 1946 der Essay
Dostojewski – mit Maßen
die tiefe Erschütterung durch das Werk und das Leben des großen Russen. Thomas Mann sieht in ihm den Epileptiker, den Verbrecher, den Spieler und Schuldenmacher, den sexuell Abartigen und den religiösen Extremisten. Das klingt abstoßend, aber er weiß, daß es Erkenntnisse gibt, die anders nicht zu haben sind, die nicht möglich sind «ohne die Krankheit, den Wahnsinn, das geistige Verbrechen».[ 45 ] Persönlich schreckt er freilich vor solchen Bedingungen des Erkennens zurück. Dostojewski verkörpert für ihn den Typus des kranken Genies, des «Heimgesuchten und Besessenen»[ 46 ], der ihn faszinierte und vor dem ihm zugleich graute, weil die brüderliche Liebe zu ihm, würde sie aus der Welt der Bücher heraustreten, den bürgerlichen Habitus gefährdenmüßte, in dem er sich zum Selbstschutz eingerichtet hatte.
39
Rußland
    Thomas Mann war russophil. Er liebte Rußland und die Russen – jedenfalls aus der Ferne. Einmal, 1914, plante er eine Rußlandreise, freute sich darauf, daß man zu ihm sagen würde: «Erbarmen Sie sich, Väterchen!» oder: «Urteilen Sie doch selbst, Foma Genrichowitsch!»[ 47 ] – aber dann kam der Krieg. Ins kommunistische Rußland zu reisen fühlte er sich nicht versucht, obgleich seine Liebe anhielt. Es war eine Liebe, die nicht von der russischen Wirklichkeit gespeist wurde, sondern von der russischen Literatur. Das Wort von der «heiligen» russischen Literatur steht schon in der Erzählung
Tonio Kröger
.[ 48 ] Rußland bedeutet Unendlichkeit, Formlosigkeit, Tiefe und Weite, bedeutet reine Seelen und christliche Demut, unbeherrschte Leidenschaften und abgründige Leidensfähigkeit, endlose Disputationen und unpolitische Menschlichkeit, wie sie verkörpert werden durch russische (literarische) Menschen wie die Brüder Iwan, Dmitri und Aljoscha Karamasow, ihren Halbbruder Smerdjakow, ihren Vater und Gruschenka, die Geliebte von Vater und Sohn. Im
Zauberberg
wird die schöne und kluge, wenn auch innerlich wurmstichige Russin Clawdia Chauchat von der russischen Menschlichkeit schwärmen, die, anders als die trockene Vernunft der pedantischen Deutschen, alles versteht einschließlich der Sünde.[ 49 ] Vorgedacht wurde das schon in den
Betrachtungen einesUnpolitischen.
Es findet sich dort, in einer Passage, die noch vor der Oktoberrevolution geschrieben ist, auch bereits treffend politisiert:
    Ist nicht der Russe der menschlichste Mensch? Ist seine Literatur nicht die menschlichste von allen, – heilig vor Menschlichkeit? Rußland war in tiefster Seele immer demokratisch, ja christlich-kommunistisch, d.h. brüderlich gesonnen, und Dostojewskij schien zu finden, daß für diesen Demokratismus das patriarchalisch-theokratische Selbstherrschertum eine angemessenere Staatsform darstelle, als die soziale und atheistische Republik.[ 50 ]
    Manns Feindbild im Ersten Weltkrieg war die Entente, war Frankreich, war der Zivilisationsliterat und war die parlamentarische Demokratie westlichjakobinischen Typus. Daß Frankreich und das zaristische Rußland während der ersten Kriegsjahre gegen Deutschland verbündet waren, empfand er als widernatürlich. Die Oktoberrevolution und der ihr folgende Friede mit Rußland stellte, aus dieser Perspektive gesehen, die richtige Ordnung wieder her. Denn Deutschland und Rußland gehören zusammen. Die seit September 1918 erhaltenen Tagebücher bestätigen den russophilen Blick, der auch die Bewertung des Umsturzes in Deutschland beeinflußt. Der unpolitische Betrachter, der noch vor gar nicht langer Zeit

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