Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser
Vorgänge voll Pracht und Nacktheit, voll Herrscherbrunst und religiöser Wut der Unterwürfigkeit, voll Grausamkeit, Begierde, tödlicher Lust und von verweilender Anschaulichkeit, wenn es die Muskulatur von Henkersarmen zu besichtigen galt, – kurz, hergestellt aus sympathetischer Vertrautheit mit den geheimen Wünschen der zuschauenden internationalen Zivilisation.[ 22 ]
Joseph und seine Brüder
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Reisen
Thomas Mann ist kein Tourist, kein Abenteurer, kein Vagabund. Er sieht eigentlich nichts auf seinen vielen Reisen, jedenfalls nichts Neues. Er schnappt höchstens einmal etwas auf – wie das Wort «Bürgergarten», das er vom fahrenden Zug aus sieht[ 1 ] – und ordnet es dann ein.[ 2 ] Er bleibt, was er schon in seiner Jugendzeit war, «ein nach innen gekehrter, spröder, eher asketischer Mensch»,[ 3 ] abhold den sinnlichen Reizen. Er findet, was er kennt. Er reist, um wiederzufinden. Was fand er in Rom?
Buddenbrooks
. Was fand er in Venedig? Lübeck.[ 4 ] Was fand er in Konstantinopel? Venedig.[ 5 ] Er ist ein typologischer Reisender, der immer nach dem Typus sucht, zu dem eine Erscheinung gehört. Das kann man auch in
Joseph und seine Brüder
gut beobachten. Als Joseph nach Ägypten verkauft wird, betrachtet er die große Sphinx, wie sie da «grausam offenäugig, mit zeitzerfressener Nase, gelagert in wüster Unwandelbarkeit» zu ihm hinüberblickt.[ 6 ] Sie ist für ihn keine touristische Sehenswürdigkeit, sondern ein Symbol der kommendenVerführung, der er standzuhalten gedenkt, eine bisexuelle Gottfigur mit Löwenpranken. Ebenso sind das Meer (in
Buddenbrooks
), das Hochgebirge (im
Zauberberg
) und die Wüste (
Joseph und seine Brüder
) nicht geographische, sondern metaphysische Landschaften, in denen das Ungegliederte, das Form- und Maßlose, das Ungeheure und Numinose sich lockend und drohend zeigt. Die Wüste ist für den frommen Hirten Jaakob «ein Meer der Unreinheit, der Tummelplatz böser Geister, die Unterwelt».[ 7 ]
Weil Thomas Mann viel unterwegs war, brauchte er als Gegengewicht örtliche Stabilität. Er war ein Pilz, der festsitzt,[ 8 ] und nicht reiste ohne Not. Seine Sommerferien kennen kein Herumstromern, sondern führen immer an feste Plätze. Sommerhäuser sind verlängerte Arbeitszimmer. In ihnen kann man dann von der Ausartung, die man fürchtet, wenigstens träumen, voller Angst und Lust. In Bad Tölz wird vom sicheren Haus aus der Elementarschneefall erlebt, der dann in den
Zauberberg
eingeht. Im Villino am Starnberger See steht das Grammophon, dem Thomas Mann das Musikerlebnis
Fülle des Wohllauts
verdankt (ebenfalls im
Zauberberg
). Im Niddener Sommerhaus kehrt die Ostsee wieder. Dort entsteht das
Fragment über das Religiöse
, das mit der Erinnerung an den Tod des Vaters in Lübeck beginnt.
Das Exil trifft den Ortsfesten deshalb besonders schwer. Wohin es ihn auch verschlägt, immer versucht er bald ein stattliches Haus zu bauen, zu kaufen oder wenigstens zu mieten. Leuten ohne festen Wohnsitz begegnet er von früh an mit einem mythischen Verdacht: Sie könnten Hadesführer sein wie derFremde am Nordfriedhof im
Tod in Venedig
, wie Clawdia Chauchat im
Zauberberg
, wie der hundsköpfige Anup, der Mann auf dem Felde und andere Reiseführer im Joseph-Roman.[ 9 ] Die wilde Abreise führt in den Tod, im Falle Joachim Ziemßens im Zauberberg-Roman wie auch im Falle der Deutschen, die bei Kriegsausbruch 1914 zu einer wilden Abreise aufbrechen, die vielen den Tod bringen wird. Es sind Urängste, die Thomas Mann mit dem Reisen verbindet.
Trotzdem ist er enorm viel gereist. Nur die frühen Reisen nach Italien waren Boheme-Reisen, um der Ferne willen und des billigen Lebens halber. Später gibt es nur noch zwei Typen: die Ferienreise und die Geschäfts- bzw. Vortrags-, Lese-, Sitzungs- oder Preisverleihungsreise. 1933 kommt noch ein unfreiwilliger Typus dazu: die Flucht.
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Verkehrsmittel
Thomas Mann war sein Leben lang ein regelmäßiger Spaziergänger. Täglich entspannte er sich beim Gehen, meistens mit Hund, meditierte über das, was er gerade schrieb, und haschte nach Ideen, wenn eine ungesucht vorbeiflatterte. In den frühen Münchener Jahren war er auch ein leidenschaftlicher Radfahrer. In der Brautwerbungszeit muß es sogar eine Wettfahrt mit Katja gegeben haben, die als Wettritt im Roman
Königliche Hoheit
wiederkehrt.[ 10 ] Tatsächlich ist der junge Mann ganz gelegentlich auch geritten, einmal zu Pferd auf dem Weg zu einem abgelegenen Gebirgssanatorium in Mitterbad in
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