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Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser

Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser

Titel: Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kurzke
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perfekt. Etwas Konstruiertes, Papierenes und Rhetorisches haftet diesen Figuren passagenweise an, wenn sie sich allzu wortreich erklären.
    Mut-em-enet ist dennoch eine ganz große Erfindung. In der Bibel erfährt man ja nur, daß Potiphars Weib ihre Augen auf ihren hebräischen Sklaven Josephwarf und sprach: «Schlafe bei mir!», daß er sich weigerte, daß sie aber solche Worte täglich gegen ihn trieb, daß er schließlich vor ihr floh, wobei sein Obergewand in ihrer Hand verblieb, daß sie ihn dann bei ihrem Mann anzeigte, er habe seinen Mutwillen mit ihr treiben wollen, und Potiphar ihn daraufhin ins Gefängnis werfen ließ.[ 31 ] Thomas Mann versieht dieses dürre Gerüst mit Fleisch und Blut und schafft aus dem Nichts eine Frau. Mit einem Eunuchen verheiratet, muß sie Jungfrau bleiben, eine keusche Mondnonne, die durch Joseph zur Frau gemacht wird, aber nicht durch sexuelle Erfüllung, sondern durch Lockung und drei Jahre währende Sehnsucht allein. Die Liebestragödie erniedrigt sie und erhöht sie, ihr Körper wird zum Liebesleib mit schwellenden Brüsten und Schenkeln, was alles sich nach dem endgültigen Entzug des Objekts der Begierde wieder zurückbilden muß – wofür eine selbst- und seelenmörderische Gewalt aufgebracht werden muß. Das alles im Gewand der altägyptischen Kultur glaubwürdig zu realisieren, dazu gehörte eine gediegene Kunstfertigkeit, die nicht mehr allein aus den autobiographischen Impulsen erklärt werden kann.
55
Männer
    Potiphar, bereits als Kind kastriert und daher geschlechtlich nicht interessiert, versteht dennoch und gerade deswegen alles. Er sieht, daß Mut-em-enet, die Geweihte und Aufgesparte, sich in Joseph verlieben mußte, weil dieser ebenfalls ein Vorbehaltener und Gottverlobter war, und daß die Liebe vonzwei Asketen eine schicksalhafte Gewalt entwickeln mußte. Er bestraft Joseph deshalb nur pro forma und läßt ihn in ein verhältnismäßig komfortables Gefängnis werfen. Die Konstellation von Mönch und Nonne hat Thomas Mann bis ins hohe Alter beschäftigt. In seinen letzten Lebensmonaten wollte er ein Drama schreiben, das Martin Luthers Hochzeit mit Katharina von Bora behandeln sollte.
    Manns Männerfiguren sind sehr häufig sexuell nicht intakt. Viele sind auf eine direkte oder eine versetzte Weise Künstler. «Ist der Künstler überhaupt ein Mann?» Das fragt bereits Tonio Kröger.[ 32 ] Künstler sind impotent, paradoxerweise kommt daher ihr Können. «Mir scheint, wir Künstler teilen alle ein wenig das Schicksal jener präparierten päpstlichen Sänger … Wir singen ganz rührend schön. Je doch –»
    Irgend etwas von sich hat Mann seinen Männerfiguren immer mitgegeben. Thomas und Christian Buddenbrook teilen unter sich das bürgerliche Leistungsethos und das künstlerische Herumkaspern auf. Ähnliches geschieht mit Adrian Leverkühn und Serenus Zeitblom im
Doktor Faustus
, nur daß hier der Künstler seriös ist und der Bürger komisch. Prinz Klaus Heinrichs behinderte Männlichkeit findet trotz allem mit Imma zu einem strapaziösen Glück – so wie es Thomas mit Katja gelang. Goethe hingegen (im Goethe-Roman
Lotte in Weimar
) bleibt wieder wie Tonio Kröger dem Leben der Gewöhnlichen fern und opfert seine Liebschaften der Kunst. Gustav von Aschenbach (im
Tod in Venedig
) ist ein Künstler, dessen bis dahin versteckte Homosexualität den Kunstbau seines bürgerlichen Lebens zerstört. Hans Castorp,mit nur geringer Männlichkeit ausgestattet, parodiert den Vorgang auf seine Weise. Jaakob ist nicht nur der treusorgende Familienvater, sondern auch ein abgründiger Mensch, bei dem sexuelles und erotisches Interesse auseinanderfallen und sich auf zwei Frauen verteilen (Lea und Rahel). Bei Pharao Echnaton, einem Décadent par excellence, zeigt sich das Weibische und Kraftlose des reinen, vital nicht gestützten Geistes. Joseph ist ein Spiegelbild des Hochmuts und der egozentrischen Eitelkeit des Künstlers, der soziale Verantwortung erst lernen muß, so wie Thomas Mann selbst sie lernen mußte, indem er nach dem Ersten Weltkrieg den unpolitischen Ästhetizismus aufgab. Joseph ist aber auch eine Projektion des Begehrens, ein schöner Knabe, mit dem imaginativ sich jahrelang zu beschäftigen innere Befriedung und Befriedigung brachte. Das gleiche gilt für Felix Krull, den schönen Hochstapler, begehrt von allen, selber aber frei vom Begehren, und für Gregorius (im Altersroman
Der Erwählte
), den liebreizenden Sünderknaben, der mit seiner Mutter

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