Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser
schläft und am Ende dennoch zum Papst gewählt wird.
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1933
Es ist eine Legende, die Thomas Manns Kinder in die Welt gesetzt haben und die bis heute nachgeredet zu werden pflegt, daß ihr Vater ahnungslos gewesen sei, was das Exil betraf. In Wirklichkeit sah er sofort den Typus, dem das Geschehen folgte. Es war die Heimsuchung von 1914, die sich 1933 wiederholte, und wie ihr Vorbild würde sie in einen gräßlichenUntergang münden. Hitler selbst hatte den Tag Ende Januar 1933, als er zum Reichskanzler gewählt wurde, mit dem gewaltigen und schwärmerischen Zusammenschluß der Nation in den ersten Augusttagen 1914 verglichen, und Thomas Mann zitiert diese Äußerung sofort. Bereits am 1. Februar 1933 warnt er einige junge Leute, die ihm Fröhliches geschrieben hatten, vor den Konsequenzen der Parallele 1914/1933, vor dem Glauben an Hitler, vor der «Verhunzung des Irrationalen, die zum Himmel stinkt», und vor der Katastrophe, die er kommen sieht.[ 33 ]
Das neue Regime hat den meisten verpönten Schriftstellern einige Wochen Zeit gelassen. Heinrich Mann verließ Deutschland am 21. Februar, Bertolt Brecht am 28. Februar, Anna Seghers ebenfalls in den Tagen nach dem Reichstagsbrand (27. Februar), Alfred Döblin desgleichen, Klaus Mann am 13. März. Andere flohen nach der Bücherverbrennung im Mai. Für österreichische Schriftsteller wie Robert Musil, Joseph Roth oder Franz Werfel stellte sich die Frage erst 1938. Kurt Tucholsky lebte schon lange in Schweden, Lion Feuchtwanger reiste zum Zeitpunkt der Machtergreifung gerade durch die USA. Es ist vor diesem Horizont nicht verwunderlich, daß unter den deutschen Hitlergegnern in den ersten Februarwochen zwar Beunruhigung herrschte, aber noch keine Panik, und daß Thomas Mann lange geplante Termine weiterhin wahrnahm. Am 10. Februar hielt er im Auditorium Maximum der Münchener Universität zu Wagners 50. Todestag seinen Vortrag
Leiden und Größe Richard Wagners
, eine prächtige Arbeit, und reiste dann am 11. Februar mit normalem Gepäck undfast abgelaufenem Paß nach Amsterdam, Brüssel und Paris, um den Vortrag auf französisch zu wiederholen. Von dort fuhr er, um drei Wochen Urlaub zu machen und die vorzügliche Schlafwagenverbindung von Paris nach Chur nützend (also Deutschland meidend),[ 34 ] nach Arosa in der Schweiz (24. Februar bis 17. März). Dort packt ihn allmählich das Grauen. Die Vorstellung, ins Exil gehen zu müssen, erregt und erschüttert ihn. Er hofft, noch einmal kurz nach München gehen zu können, um das Notwendigste zu ordnen.[ 35 ] Beginnend mit dem 15. März 1933 sind seine Tagebücher überliefert geblieben, so daß die Vorgänge genau nachvollziehbar sind. An diesem 15. März ist ihm bereits klar, wohin die Reise geht. Er hat erkannt, «daß eine Lebensepoche abgeschlossen ist, und daß es gilt, mein Dasein auf eine neue Basis zu stellen», und er fügt tapfer hinzu: «eine Notwendigkeit, die ich, entgegen der Versteiftheit meiner 58 Jahre, geistig gut heiße und bejahe».
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Emigrant
Weil er sich bei dieser Gelegenheit ganz aus der Politik zurückziehen wollte, kam seine Stellung manchen Mitemigranten, darunter auch seinen Kindern Klaus und Erika, zwielichtig vor. Es dauerte drei Jahre, bis die NS-Behörden ihn wirklich ausbürgerten. Davor gab es ein langes Hin und Her, um die Herausschaffung von möglichst viel Besitz aus dem beschlagnahmten Münchener Haus, um den Verbleib im S. Fischer Verlag, der erst geteilt und dann aus dem Deutschen Reich vertrieben wurde, um dieMöglichkeit, weiterhin im Reich zu publizieren, um die Verlängerung des Reisepasses, um die Erlegung der Reichsfluchtsteuer und um vieles andere. Thomas Mann ahnte nicht, daß seit Juni 1933 ein Haftbefehl gegen ihn vorlag. Die deutschen Grenzbehörden waren angewiesen, ihn nach Dachau ins dortige KZ zu überstellen, falls er sich denn blicken ließe.
So gern Thomas Mann Rollen spielte – auf die des Märtyrers war er nicht vorbereitet. Er wollte kein Emigrant sein. Er scheute sich lange, das Tischtuch zu zerschneiden und sich von Deutschland auszuschließen.[ 36 ] «Ich würde es für einen Fehler der deutschen Machthaber halten, wenn sie mich durch die Forderung unmöglicher Bekenntnisse ins Emigrantenlager drängten.»[ 37 ] Er will nicht wahrhaben, daß er in diesem Lager schon ist. Er gerät in eine schiefe Position, unweigerlich. Er sinniert, ob es nicht schön wäre, wenn die Nazis ihn zurückrufen würden. Man müßte ja dem Ruf nicht
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