Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser
folgen. «Ich weiß, daß in Berlin Bedauern über mein Außensein besteht; ich will es nähren u. zum Sprechen bringen, vielleicht eine Aktion im Sinne meiner Rückkehr hervorrufen, die Münchner Ochsen desavouieren.»[ 38 ] Im Nachhinein betrachtet ist das eine ziemlich verrückte Idee. Das einzige, was sie zur Folge hat, ist Enttäuschung, ja Verbitterung der Mitemigranten, denen Thomas Mann lange die Solidarität verweigert. Ich bin keiner wie die sonst draußen, schreit es in ihm, kein Jude, kein Kommunist, kein Asphaltliterat. Ich will nicht, daß die jetzt meine Nächsten sind! Ich bin kein Undeutscher. Ich muß einen Weg finden
zwischen
der hysterischen Gekränktheit der Emigranten und denMitmachern in Deutschland,[ 39 ] muß mich fernhalten von der Ressentiment- und Verzweiflungsliteratur, bin nicht geschaffen, mich im Haß zu verzehren.[ 40 ] Die Angst um seine seelische Balance macht ihn blind gegenüber den Leiden der Mitexilierten. Die tiefe Kränkung preßt Ungeheuerlichkeiten aus ihm heraus. Gewaltiges Leiden braucht gewaltige Tröstungen. Weil er sich mindestens so tief gedemütigt fühlt wie Jaakob, nachdem ihn der Knabe Eliphas verbleut hat, träumt auch er einen grandiosen Haupterhebungstraum. War er nicht der letzte Überlebende einer höheren Epoche? Sein Tagebuch zumindest sollte es wissen: «Moralisch und kulturell gewinnt meinesgleichen bei zunehmender Applanierung etwas einsam Ragendes.» (31. Januar 1935)
Die Vorwürfe, die man ihm wegen all dem machen kann, haben jedoch keinen langen Atem. Als er sich um die Jahreswende 1936/37 öffentlichkeitswirksam zum Exil bekennt, wird er fast übergangslos zum Musteremigranten und Repräsentanten des Exils, auch wenn das vielen Kollegen nicht paßt. Was Exil seelisch bedeutet, hatte er inzwischen auch literarisch erkundet. In den Jahren von 1933 bis 1936 schrieb er
Joseph in Ägypten
. Wie sein Joseph war er entwurzelt, heimatlos, und wie dieser trug er das Seine zäh im Herzen. Als er 1938 bei der Einreise nach Amerika sagte: «Wo ich bin, ist Deutschland»,[ 41 ] wollte er keine Selbstüberschätzung äußern, sondern nur sagen: Ich habe mein Deutschland in mir, man kann mir nichts nehmen und nichts geben, omnia mea mecum porto.
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Hitler und Roosevelt
Thomas Mann haßte Hitler, das ist gar keine Frage. Er hatte politisch und persönlich wahrhaftig gute Gründe dafür. Trotzdem schrieb er 1938 den provokanten Essay
Bruder Hitler
, einen der erstaunlichsten Texte der Emigration. Hitler sei ein Bruder, sagte er da, ein unangenehmer, beschämender und auf die Nerven gehender zwar, aber dennoch ein Bruder. Was bis heute den meisten Deutschen schwerfällt, nämlich in sich selbst das faschistische Potential aufzuspüren und es nicht zu verleugnen, das versuchte Thomas Mann bereits 1938. Die Brüderschaft lag im Künstlertum. Denn auch Hitler war auf seine Art ein Künstler. Die Parallelen, die Mann zieht, sind aufschlußreich, ja verräterisch auch für ihn selbst:
Es ist, auf eine gewisse beschämende Weise, alles da: die «Schwierigkeit», Faulheit und klägliche Undefinierbarkeit der Frühe, das «Nicht-unterzubringen-Sein», das «Was-willst-du-nun-eigent lich?», das halb blöde Hinvegetieren in tiefster sozialer und seelischer Boheme, das im Grunde hochmütige, im Grunde sich für zu gut haltende Abweisen jeder vernünftigen und ehrenwerten Tätigkeit – auf Grund wovon? Auf Grund einer dumpfen Ahnung, vorbehalten zu sein für etwas ganz Unbestimmbares, bei dessen Nennung, wenn es zu nennen wäre, die Menschen in Gelächter ausbrechen würden. Dazu das schlechte Gewissen, das Schuldgefühl, die Wut auf die Welt, der revolutionäre Instinkt, die unterbewußte Ansammlung explosiver Kompensationswünsche, das zäh arbeitende Bedürfnis, sich zu rechtfertigen, zu beweisen, der Drang zur Überwältigung, Unterwerfung, der Traum, eine in Angst, Liebe, Bewunderung,Scham vergehende Welt zu den Füßen des einst Verschmähten zu sehen …[ 42 ]
Eine demokratische Konzeption ist das nicht gerade. Das Bild wird beherrscht von Machtphantasien. Der Künstler, der zur Macht kommt, ist in Gefahr, die Macht zu mißbrauchen und das Volk zu verführen. Besser gerät es, wenn er neben der Macht steht. Der vierte Joseph-Roman,
Joseph der Ernährer
, zeigt einen Künstler – Joseph – neben einem Mächtigen – Pharao Echnaton. Geist und Macht gehen Hand in Hand. So soll es sein. Das Modell in der Wirklichkeit war der amerikanische Präsident Franklin D.
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