Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser
Die USA waren das Land Präsident Wilsons, dessen Friedensgerede Deutschland den Vertrag von Versailles eingebrockt hatte. Die amerikanischen Ideale, die Wilson verkündete, waren Tiraden aus dem Mund eines Zivilisationsliteraten. Die erste Annäherung an Amerika entstand durch Walt Whitman, in dessen Dichtungen Thomas Mann 1922 Demokratie und Männerliebe zu einer gesunden Umarmung gekommen sah,[ 12 ] während er vorher die Demokratie für etwas Feminines gehalten hatte.[ 13 ] Aber das ist alles nur Literatur. Die wirkliche Begegnung mit Amerika läßt Wilson und Whitman sofort verblassen. Sie wäre auch ohne Hitler auf seinem Weg gelegen, wird aber durch das Exil beschleunigt und enorm intensiviert. Er versucht, Deutschland (was leichtfällt) und die Schweiz (was viel schwerer fällt) zu vergessen, und redet sich ein, die Heimat könne überall sein, wo man ihn ungestört schreiben läßt.
Als der Krieg zu Ende und Präsident Roosevelt gestorben war, änderte sich die Lage. Der Kampf gegen Hitlerdeutschland war beendet, der Kalte Krieg gegen die Sowjetunion und ihre Vasallen hatte begonnen. Jetzt war Thomas Mann kein geeigneter Bundesgenosse mehr. Er galt sogar als «fellow traveller» des Kommunismus. Seine Bücher waren in Rußland beliebt, und er bemühte sich um Vermittlung zwischen Ost und West. Das machte ihn verdächtig. Zunehmend fühlte er sich unfrei, und wenn er Unfreiheit erfuhr oder wahrnahm, sah er rasch das Gespenst des Faschismus heraufziehen. Vor ihm floh er 1952,wieder beinahe heimlich, zurück in die Schweiz, diese vor dem Strudel bewahrt gebliebene politische Insel mitten in Europa.
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Staatsbürgerschaften
Thomas Manns deutscher Reisepaß war schon im April 1933 abgelaufen. Er lebte über drei Jahre lang mit provisorischen Papieren, die ihm die Schweizer Behörden ausstellten. Zu einer Einbürgerung in die Schweiz, die er sich zeitweise wünschte, kam es nicht. Wohl aber hatte die Tschechoslowakische Republik die Generosität, ihm die Staatsbürgerschaft anzubieten, und so wurde Thomas Mann am 19. November 1936 Bürger der Tschechoslowakei. «Sonderbares Ereignis», kommentierte er im Tagebuch.[ 14 ] Immerhin hatte das Ereignis den Vorteil, daß er nicht staatenlos wurde, als das Deutsche Reich ihn zwei Wochen später ausbürgerte – rechtlich wirkungslos, da er ja nicht mehr Deutscher war. Aber es ging ihm nicht um das Rechtliche. Daß er in deutschem Wesen und deutscher Überlieferung tiefer wurzele «als die flüchtigen, wenn auch penetranten Erscheinungen, die zur Zeit Deutschland regieren», teilte er der Presse bei dieser Gelegenheit noch einmal mit.[ 15 ]
Mit seinem tschechischen Paß war er acht Jahre lang unterwegs, bis er am 23. Juni 1944, festlich bewegt, Amerikaner wurde. Er starb auch als Amerikaner. Ob die Bundesrepublik Deutschland, die ihm im Juli 1955 immerhin 75.000 DM Entschädigung zahlte,[ 16 ] auch die Rückgabe der deutschen Staatsbürgerschaftangeboten hat, ist nicht bekannt. Er hätte sie nicht haben wollen, sowenig wie die der DDR. Das Deutschland seines Herzens gab es für ihn nicht mehr. Schweizer wäre er gern noch geworden, aber das klappte nicht mehr rechtzeitig.
Doktor Faustus
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Erika, Klaus, Elisabeth
Die sechs Kinder von Katja und Thomas Mann gruppieren sich in drei geliebtere und drei weniger geliebte. Alle sechs hatten sie das Schicksal, daß die Exilierung ihre Wunschkarrieren unterbrach und sie einerseits internationalisierte, andererseits näher an das Elternhaus band als gut war. Erika Mann (* 1905), die älteste, betrieb ihr Kabarett «Die Pfeffermühle» zunächst in Zürich, folgte aber dann den Eltern nach Amerika, wo deutsche Kabarettarbeit chancenlos war und sie sich erst mit journalistischen und literarischen Arbeiten durchschlug, dann als Kriegskorrespondentin tätig war, dann immer mehr dem Vater half, dessen erste Nachlaßverwalterin sie wurde. Aus Gründen der Staatsbürgerschaft heiratete sie 1935 pro forma den britischen Schriftsteller Wystan H. Auden und starb 1969 als Britin in Zürich. Alkohol, Nikotin und Tabletten waren in den letzten, von Krankheiten und Depressionen vergifteten Jahren ihre ständigen Begleiter. Privat hatte sie Freundinnen und Freunde, aber es bot sich kein dauerhaftesGlück, so daß das Elternhaus immer ihr wichtigster Bezugspunkt blieb.
Klaus Mann (* 1906), der zweite in der Reihe, stieg schon in den Golden Twenties zu einem gefeierten, aber auch immer wieder als Söhnchen verspotteten Autor auf. War
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