Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser
gegen seinenGeist».[ 58 ] Das ist ganz wörtlich gemeint. Was ihn aber vermochte, sich trotzdem loszureißen, war das Antlitz des Vaters, das ihm erschien, aber nicht das seines leiblichen Vaters allein, sondern aller väterlichen Figuren seines Lebens, die sich vermischten mit dem viel gewaltigeren Antlitz Gottes selbst.
Später heiratet Joseph und zeugt zwei Kinder. Seine Ehe ist also keine Josephsehe? In gewissem Grade ist sie es doch. Seine Staatsheirat mit Asnath ist eine Vernunftehe ohne die bedrohliche Leidenschaftstiefe der Mut-em-enet-Affäre. Die Gottverlobtheit des Künstlers, der keinem in der Welt gehört, bleibt in ihr ungeschmälert bestehen.
Lotte in Weimar
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Gott
Wenn Thomas Mann über Gott spricht, dann fast nie auf eigene Rechnung, fast nie ungeschützt, fast stets im Medium einer Sprecherrolle oder eines Zitats. Das hat gute ästhetische Gründe. «Gott» ist eine pathetische Vokabel, und Thomas Mann ist ein Ironiker, für den sich Pathos in aller Regel verbietet. In Gänsefüßchen aber ist pathetische Rede möglich. «Groß war – Gott in uns» skandiert der Erzähler im
Doktor Faustus
das c – cis– d– g–g im Arietta-Satz aus Beethovens Klaviersonate op. 111.[ 1 ]
Den Gottesnamen direkt auszusprechen ist für Thomas Mann so verboten wie einst im alten Judentum. Gott muß geschützt werden vor dem all täglichen Mißbrauch für Interessen aller Art. Er darf nicht definiert werden, so als wäre er ein Teil unseres Begreifens. Er ist vielmehr der allem Begreifen Entrückte. Er ist deshalb auch das Schweigen im Sprechen. Alles Sprechen Thomas Manns ist um ein Schweigen herumgebaut, das in ihm liegt wie das Auge des Sturms.
Nur in Bildern und Analogien läßt sich von Gott sprechen. Er ist eine Art Künstler, denn wie dieser sieht er das ganze Weltgeschehen voller Liebe und Mitleid, mit all seiner Komik und all seinem Elend. Er ist transzendent, jenseits von Raum und Zeit und trotzdem alles durchdringend. Jenseits von Raum und Zeit, das heißt: nicht an die Dreidimensionalität gekettet, nicht ans Nacheinander, mit einem Auge, das überall und jederzeit das Einzelne und das Ganze zusammensieht, vor dem ein menschliches Leben wie ein Augenblick erscheint, ein Augenblick aber die Ewigkeit enthält. Der Tod, der die Fesseln der Individualität zerreißt, wird alle Menschen teilhaben lassen an diesem Blick. Das ist zumindest die Hoffnung, die sich aus vielen Sterbefällen in Manns Romanen ergibt.
Ein dunkles Geheimnis dieser Art kann nicht als Helfer nur der Frommen vereinnahmt werden. Gott ist nicht das Gute, sondern das Ganze.[ 2 ] Man kann deshalb nicht umhin – so führt Doktor Riemer in
Lotte in Weimar
aus, «ihm eine eigentümliche Kälte, einen vernichtenden Gleichmut zuzuschreiben. Wofür sollte Gott sich begeistern? Er ist ja das Ganze, und so ist er seine eigene Partei, er steht auf seiner Seite, und seine Sache ist offenbar eine umfassende Ironie.»
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Goethe
Auf den Brief eines jungen Gelehrten, der in Yale ein Thomas Mann-Archiv gründen wollte, reagierte der Angefragte mit dem Satz: «Briefe wie den seinen empfing Goethe – ich schiele.» (Tagebuch4. März 1937) Ja, er schielte. Er blickte zu Goethe hinauf. Goethe war das ganze Leben lang sein großes Vorbild. Er kannte dessen Werk gut. Bei den Dichtungen lag das Hauptgewicht auf der Lyrik, auf dem Faust-Drama und auf dem Roman
Die Wahlverwandtschaften
. Prägender aber war das Lebensvorbild Goethes. Eine noch größere Rolle als die Dichtungen spielen deshalb Biographien und autobiographische Quellen – Erinnerungen, Briefe und Gespräche.
Bis 1914 ist Goethe vor allem als Künstler und als Liebender gefragt. Im Ersten Weltkrieg liefert der Revolutionsskeptiker Goethe Material gegen den Zivilisationsliteraten. In der Weimarer Republik begleitet Goethe Thomas Manns Wandlung (die sich in den beiden Fassungen des Essays
Goethe und Tolstoi
von 1921/25 abbildet) und eignet sich 1932, als Mann zum 100. Todestag die Festrede
Goethe als Repräsentant des bürgerlichen Zeitalters
hielt, sogar als Appell an die politische Vernunft des Mittelstands. Mit Goethes Altersweisheit besteht Thomas Mann dann das Exil. «Unseliges Volk», läßt er, mit unübersehbarer Selbstbezüglichkeit, seinen Goethe über die Deutschen sagen, «das Schicksal […] wird sie über die Erde zerstreuen wie die Juden, – zu Recht, denn ihre Besten lebten immer bei ihnen im Exil, und im Exil erst, in der Zerstreuung werden sie die Masse des Guten,
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