Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser
in Thomas Manns Faust-Roman. «Du darfst nicht lieben»[ 2 ] gehört zu den üblichen Vertragsklauseln eines Teufelspakts. Du darfst nicht einmal ein Kind lieben. Geschickt unterschiebt Thomas Mann dem Teufelspakt die Urkonstanten, die sein Werk seit jeher bestimmen. Adrian ist «Geist», der bildhübsche Knabe «Leben». Der Geist, das erkennt schon Tonio Kröger, tötet das Leben. Der Künstler muß kalt sein – wenn er empfindet, schreibt er dilettantischen Mist. Wenn er lieben würde, könnte er nicht mehr schreiben. Darum darf er nicht lieben. Darum muß sogar ein fünfjähriges Elfenprinzchen abgeräumt werden, und das geschieht im Roman in einer unerhört grausamen, in allen krassen Einzelheiten beschriebenen Weise, indem Echo auf der Realebene an einer Hirnhautentzündung stirbt, auf der Symbolebene aber vom Teufel geholt wird.
Das liebenswürdige Vorbild für den kleinen Märtyrer war Frido Mann, Michaels Ältester. Da seine Mutter Schweizerin war, verfügte er auch über den entsprechend drolligen Dialekt, sagte «herzig» und «Hüsli», «absitze» und «es bitzli», und hätte sicher auch das Abendgebetchen auf wundersam ergreifende Weise vortragen können, das Thomas Mann seinem Doppelgänger in den Mund legt:
Merkt, swer für den andern bitt’
Sich selben löset er damit.
Echo bitt’ für die ganze Welt,
Daß Got auch ihn in Armen hält. Amen.[ 3 ]
Bei allem Recht, das die Literatur für sich beanspruchen darf, war es sicher auch eine Missetat, ein Kind ungeschützt in so dämonische Kontexte zu bringen und ihm damit unkalkulierbare seelische Hypotheken aufzuladen. Der Künstler opfert das Leben, das seine, aber leider auch das der anderen – «es ist ja beinah wie ein Schlachtfeld und wie in eines bösen Kaisers Reich», bemerkt Charlotte Kestner im Gespräch mit Goethe.[ 4 ] Thomas Mann brachte die Größe nicht auf, mit seinem Enkelkind über «Echo» zu sprechen. Wie entlastend wäre ein Gespräch über den Unterschied von Literatur und Leben gewesen! Frido war immerhin schon fünfzehn, als der Großmeister starb, und hätte ihn bestimmt verstanden. Die Sprachlosigkeit aber mußte traumatisierend wirken, gerade in einer Familie, in der so vieles versprachlicht war. Frido Mann fühlte sich literarisch ermordet. Daß er unter solchen Umständen zeitweise eine innere Abwehr nicht nur gegen die Werke Thomas Manns, sondern gegen Literatur überhaupt entwickelt hat, ist wenig verwunderlich. Worte können freiheitsberaubend sein. Zuvielgesagtes ist nicht mehr rückholbar. Der Liebreiz wurde zum Kainsmal. Frido Mann fühlte sich stigmatisiert, fühlte alle Blicke auf sich ruhen, weil er doch der süße Echo war – Blicke voll Entsetzen, Mitleid, Bewunderung, Neid und Sensationslust.[ 5 ]
Dem zu entkommen war sehr schwer. Frido Mann war nach- und nebeneinander Musiker, katholischer Theologe, Psychologe und Psychiater, Medizinstudent, Schriftsteller, eine Art deutsch-brasilianischer Kulturbotschafter und in den letzten Jahren Weltethiker im Sinne von Hans Küng. Familiär gesehen ist er heute, auch wenn die erbrechtliche Situation dem nicht Rechnung trägt, der eigentliche Sachwalter Thomas Manns.
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Doktor Faustus
Ein klassischer Teufelspakt sieht vor, daß der Teufel im irdischen Leben Geld, Macht, Wissenschaft und Wohlleben liefert und dafür im ewigen Leben die unsterbliche Seele erhält. Was konnte Thomas Mann mit diesem Schema anfangen? Was liefert sein Teufel eigentlich?
Thomas Manns Faust ist Künstler, dieses Mal kein Literat, sondern ein Musiker, ein Komponist. Der Teufel liefert deshalb nicht Geld, Macht und schöne Frauen, sondern das, was ein Künstler am nötigsten braucht: Inspiration. Er liefert eine professionelle Qualität: Inspiration für Künstler, die Nietzsches
Fall Wagner
gelesen haben, für solche also, die genau wissen, wie Kunst «gemacht» wird, wie man welche Effekte erzielt und wie man beim Publikum genau vorauskalkulierte Emotionen weckt. Es geht um heiße Feuersglut für den kalten Künstler, der alles kann, aber an nichts mehr glaubt, sich deswegen haßt und keine tiefere Sehnsucht kennt als die nach Herzenswärme, Lebendigkeit und gläubiger Begeisterung.Freilich kann der Teufel eine so gute und fromme Sehnsucht nicht stillen. Er verkauft nur einen Ersatz: die künstlichen Paradiese des Rauschs. Den Rausch erzielt er nicht durch gewöhnliche Drogen, sondern durch eine Krankheit, die Syphilis, zu deren nach der Ansteckung auftretenden Merkmalen Phasen euphorischer
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