Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser
die in ihnen liegt, zum Heile der Nationen entwickeln und das Salz der Erde sein …»[ 3 ] Auch zum 200. Geburtstag 1949 hält Mann wieder diverse Goethe-Reden, unter anderem
Goethe und die Demokratie
, wobei es ihm nicht leichtfällt, seinen Unglauben an die Nachkriegsdemokratie niederzukämpfen – der Vortraghätte fast ebenso gut mit
Goethe gegen die Demokratie
überschrieben werden können.
Dem sei wie immer. Jedenfalls hatte sich Goethe als Muster bewährt durch ein langes und an Wechseln reiches Leben – anders als das «Dreigestirn» Schopenhauer, Nietzsche und Wagner, das seit der republikanischen Wende an Vorbildeignung eingebüßt hatte. Die drei großen Essays
Leiden und Größe Richard Wagners
(1933),
Schopenhauer
(1938) und
Nietzsches Philosophie im Lichte unserer Erfahrung
(1947) sind kein Gegenargument. Sie sind Abschiede und kritische Analysen, die einerseits die Dankesschuld für die frühen und sehr tiefen Eindrücke abtragen, andererseits aber Distanz nehmen von der politischen Verantwortungslosigkeit insbesondere Schopenhauers und der faschistischen Mißbrauchbarkeit insbesondere Nietzsches und Wagners.
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Opfer
Mit seinem Goethe-Roman
Lotte in Weimar
gestattet Thomas Mann sich eine fast autistische Zurückweisung der menschlichen Ansprüche, die er an sich gestellt fühlt. All denen, die ihn für einen mächtigen Ausbeuter halten, sagt er, er sei ein Opfer. Er verteidigt Goethe, der seine Liebschaften als Brennstoff seiner Dichtungen verheizte und generell seine Mitwelt zum Dienst an seiner Größe zwang. Er verteidigt damit sich selbst. Das Ich des gedichteten Goethe kann man ohne weiteres mit dem Ich Thomas Manns gleichsetzen, wenn «Goethe» am Ende des Romans vom Opfer redet. Er räumt ein, daß vieleMenschen ihr Leben dem seinen hingegeben haben, aber er retourniert, er selbst sei das wahre Opfer. «Den Göttern opferte man, und zuletzt war das Opfer der Gott.»[ 4 ]
Ja, «Goethe» ist der Gott, der sich opfert. Christusidentifikationen durchziehen das gesamte Werk Thomas Manns. Der Künstler leidet und stirbt stellvertretend für die Menschheit. «Goethe» vermeidet zwar die direkte Christusassoziation, aber den Anspruch vermindert er nicht, wenn er sich, mit Bezug auf das Gedicht
Selige Sehnsucht
, bezeichnet als «die brennende Kerze […], die ihren Leib opfert, damit das Licht leuchte». Er ist auch «der trunkene Schmetterling, der der Flamme verfällt, – Gleichnis alles Opfers von Leben und Leib zu geistigster Wandlung.»[ 5 ]
Sagt es niemand, nur den Weisen,
Weil die Menge gleich verhöhnet,
Das Lebend’ge will ich preisen,
Das nach Flammentod sich sehnet.
In der Liebesnächte Kühlung,
Die dich zeugte, wo du zeugtest,
Überfällt dich fremde Fühlung,
Wenn die stille Kerze leuchtet.
Nicht mehr bleibest du umfangen
In der Finsternis Beschattung,
Und dich reißet neu Verlangen
Auf zu höherer Begattung.
Keine Ferne macht dich schwierig,
Kommst geflogen und gebannt,
Und zuletzt, des Lichts begierig,
Bist du Schmetterling verbrannt.
Und so lang du das nicht hast,
Dieses: Stirb und werde!
Bist du nur ein trüber Gast
Auf der dunklen Erde.[ 6 ]
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Lotte in Weimar
Das Peinlichkeitspotential ist groß, wenn eine Jugendgeliebte nach Jahrzehnten vor der Tür steht, um dem einstigen Freund einen Besuch abzustatten. Wenn dieser Freund gar aus der Affäre einen Roman gemacht hat, den alle Welt kennt, beißt man sich erst recht auf die Lippen, ob das gutgehen kann. Es ist historisch belegt, daß Charlotte Kestner, geborene Buff, deren Liebelei mit dem jungen Goethe zum Anlaß für den Roman
Die Leiden des jungen Werther
wurde, den alten Goethe 1816, 44 Jahre nach den Ereignissen, in Weimar besuchte. Sie erwartete vielleicht eine sentimentale Auffrischung der Gefühle, er aber blieb kalt.
Die Grundkonstellation ist die altbekannte: Der Geist und das Leben können zueinander nicht kommen. Der Künstler kann nicht warm und gefühlvoll sein, wenn er seine Aufgabe, das Leben zu durchschauen, wahrnehmen will, ja, er muß bisweilen ein Ekel sein. Das «Leben» erscheint nicht nur in Gestalt der liebenswürdigen alten Dame, sondern auch in Gestalt von Goethes Familien- und Adlatenkreis sowie in Gestalt der vertratschten Weimarer Gesellschaft. Bevor Goethe selbst im siebenten Kapitel mit einem grandiosen inneren Monolog auf den Plan tritt, wird in sechs Kapiteln der Bann geschildert, in demalle um ihn herum befangen liegen: der Kellner Mager im Hotel Elephant, wo Lotte absteigt, der
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