Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser
Produktivität gehören, bevor sie in den Wahnsinn umschlägt und der Teufel die Seele endgültig bekommt, die ihm ob ihrer Kälte immer schon gehörte. Das ist der sachliche Kern des Plans, den Thomas Mann bereits im Jahr 1904 notiert hat und den er mit festhaltender Hand bis in sein siebtes und achtes Lebensjahrzehnt mit sich herumtrug:
Figur des syphilitischen Künstlers: als Dr. Faust und dem Teufel Verschriebener. Das Gift wirkt als Rausch, Stimulans, Inspiration; er darf in entzückter Begeisterung geniale, wunderbare Werke schaffen, der Teufel führt ihm die Hand. Schließlich aber
holt ihn der Teufel:
Paralyse.[ 6 ]
In diesen Plan ließ sich allerlei einbringen. Elemente der Biographie Nietzsches (Bordellerlebnis, Geisteskrankheit) korrespondierten offensichtlich und wurden einmontiert. Bisher Unverwertetes aus der eigenen Biographie fand im Umfeld des geschilderten Künstlerlebens seinen Platz und hatte das präfaschistische Deutschland darzustellen. Nicht nur die Lage der Kunst, die sich als Verbrauchtheit aller Mittel und umfassendes Déjà-vu darstellte, schien des Teufels, sondern auch die Lage Deutschlands in den Jahren seit 1943, in denen Mann den Faust-Roman schrieb. Seinen Pakt mit dem Teufel hatte auch das alte, romantisch-unpolitische Kulturdeutschtum geschlossen,als es sich mit Hitler einließ. 1945, als die Paktzeit abgelaufen war, erlebte es seine «von donnernden Flammen umtanzte Höllenfahrt»[ 7 ].
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Der Teufel
Glaubte Thomas Mann an den Teufel? Wenn es das Böse gibt, muß es dem Romancier auch erlaubt sein, es zu personifizieren. Das geschieht nur auf der Ebene der Zitate und Anspielungen, nicht auf der Ebene des als wirklich erzählten Geschehens. Auf der Wirklichkeitsebene gibt sich alles als medizinisch erklärbar aus. Was die mythische Substruktur als Paktabschluß deutet, ist die Ansteckung mit Syphilis, die Teufelsgabe der Inspiration ist die krankheitsbedingte Euphorie, die Höllenfahrt ist der Ausbruch des Wahnsinns. Wie im Joseph-Roman haben wir ein gleichsam räumliches Gebilde vor uns, das von jedem Punkt aus Stimmigkeiten in mehrere Richtungen eröffnet. Die Schicht des nationalsozialistischen Deutschland und seines Teufelspakts ist dem Erzähler Serenus Zeitblom zugewiesen, dessen fiktive Erzählzeit die Jahre von 1943 bis 1945 sind. Der Roman hat den Untertitel
Das Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn, erzählt von einem Freunde
. Die Biographie des Freundes ist in die des Tonsetzers verwoben. Das gibt Thomas Mann die bewährten Möglichkeiten, jemanden sprechen zu lassen, nicht selber sprechen zu müssen und so dispensiert zu sein von Fragen wie der, ob er an den Teufel glaube.
Einen Teufel, der persönlich auftritt und einen Pakt schließt, wie in der
Historia von D. Johann Fausten
von 1587, die als Quelle diente – einen solchen Teufel gibt es im
Doktor Faustus
nicht. Es gibt nur eine mehrfach gebrochene literarische Fiktion: ein von Serenus Zeitblom verwahrtes Manuskript von der Hand Adrian Leverkühns, in dem ein Gespräch mit dem Teufel wiedergegeben wird, das einen bereits bestehenden Pakt voraussetzt. Dieses Teufelsgespräch hat Mann in die Mitte des Romans gestellt (25. Kapitel), wie einst das Lisaweta-Gespräch in der Mitte des
Tonio Kröger
stand. Es ist die tiefste und wichtigste Äußerung zur Ästhetik des modernen Kunstwerks, die es aus seiner Feder gibt.
Thomas Manns Theologie oder Dämonologie blieb lebenslang pessimistisch. Der Pakt mit dem Teufel ist letzten Endes eine fundamentale Daseinsbedingung des Künstlers. In
Lotte in Weimar
spricht Doktor Riemer von den zwei Augen Goethes, die doch einen Blick ergeben: [ 8 ]
Da Gott das Ganze ist, so ist er auch der Teufel, und man nähert sich offenbar dem Göttlichen nicht, ohne sich auch dem Teuflischen zu nähern, sodaß einem sozusagen aus einem Auge der Himmel und die Liebe und aus dem anderen die Hölle der eisigsten Negation und der vernichtendsten Neutralität hervorschaut.
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Adorno
Thomas Mann hat sich den Spaß gemacht, dem Teufel, so lange er als Musikintelligenzler spricht, nicht nur das Aussehen, sondern auch etliche Theorien des Philosophen und Musiksoziologen Theodor W. Adorno in den Mund zu legen. Auch Adorno warvon Hitlers Herrschaft ins kalifornische Exil getrieben worden, wo man sich begegnete. Der Autor des Faust-Romans sah rasch: Das ist mein Mann. Adorno kannte nicht nur Nietzsche, Schopenhauer und Wagner, sondern darüber hinaus auch Hegel und Marx und Arnold
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