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Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser

Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser

Titel: Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kurzke
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gelehrte, aber frustrierte Doktor Riemer, die redselige Adele Schopenhauer, Goethes unglücklicher Sohn August und manche andere. Im achten Kapitel endlich trifft man sich; Goethe lädt zu einem Mittagessen ein, das steif und alles Persönliche vermeidend gerät. Erst im neunten und letzten Kapitel läßt Thomas Mann es in Goethes Kutsche zu einer Zweierbegegnung kommen. Sie duzt ihn, er siezt sie … Aber der Schluß ist versöhnlich, Goethe kann sich erklären, Lotte nimmt seine Erklärung an, und wenigstens im Himmel werden sie zusammen sein – «welch ein freundlicher Augenblick», sagt Goethe zum Abschied, den Schluß seiner
Wahlverwandtschaften
heimlich aufgreifend, «wird es sein, wenn wir dereinst wieder zusammen erwachen.»[ 7 ]
70
Schweiz
    Thomas Mann hatte 1933 in München Sach- und Vermögenswerte in Höhe von mindestens 400.000 Reichsmark eingebüßt, doch standen 200.000 Franken auf Schweizer Konten, so daß der Verlust ein bißchen abgefedert war.[ 8 ] Die Schweiz wurde zur neuen Heimat, nicht nur der Konten halber, sondern auch der Freunde halber, die er dort schon hatte, und auch des Geistes wegen, den er dort teils vorfand, teils vorzufinden beabsichtigte. Die Schweiz zog wechselnde Idealisierungen auf sich. Sie genoß seine Hochachtung schon vor dem Ersten Weltkrieg, als Land weltläufiger Bürgerlichkeit, und sie gewannnach dem Krieg erneuten Respekt als Symbol der Versöhnung, weil in ihr Deutsche und Franzosen friedlich unter einem Staatsdach zusammenlebten, sowie als das Land, in dem die in den
Betrachtungen eines Unpolitischen
noch so heftig bekämpfte Vereinigung von Deutschtum und Demokratie möglich schien.[ 9 ] Außerdem war es schön dort, die Menschen freundlich, die Natur herrlich, Straßen und Schulen gut. Kurz, die (deutsche) Schweiz war ein Wunder, ein Glücksfall, ein Wunschtraum von Deutschland, wie es sein sollte, eine reale Utopie.[ 10 ] Würde sie sich auch nach 1933 als eine solche bewähren? Man war bekanntermaßen nicht eben emigrantenfreundlich dort, aber der Nationalismus stieß in dem kleinen Vielvölkerstaat dennoch auf eine natürliche Immunität, und was speziell Thomas Mann betraf, so schützte ihn sein Ruhm, man machte viele Ausnahmen für ihn und half ihm, wo es ging. Die Jahre in Küsnacht am Zürichsee waren für ihn deshalb recht gute Jahre. Es war kein Zufall, daß er, nach fünfzehn Jahren in Amerika, nicht nach München oder Lübeck zurückkehrte, sondern an den Zürichsee.
71
Amerika
    Der halb erzwungene, halb gewollte Anschluß Österreichs an Hitlerdeutschland im März 1938 machte die Frage akut, ob der politidyllische Naturschutz park Schweiz nicht ganz rasch zur «Mausefalle»[ 11 ] werden könnte. Thomas Mann befand sich damals gerade auf Vortragsreise in den USA, und rasch wurde jetzt der schon länger erwogene Entschlußgefällt, zu bleiben. Auch hatte Amerika sich als sehr freundlich erwiesen, es gab einen rührigen Verleger (Alfred A. Knopf), es gab ein Publikum, es gab eine einflußreiche mäzenatische und missionarische Freundin, Agnes E. Meyer, die viele Wege ebnete und dafür sorgte, daß die University of Princeton dem deutschen Autor eine Stelle als «Lecturer in the Humanities» anbot, mit einem guten Professorengehalt und nur geringer Lehrverpflichtung – die Thomas Mann gleichwohl bald als belastend empfand, weshalb die Gönnerin ihm 1941 zu einer gut dotierten Sinekure an der Library of Congress verhalf.
    In der Schweiz hatte Thomas Mann trotz allem politisch vorsichtig sein müssen. Das Land war neutral, was in der Praxis hieß, daß es sich mit dem mächtigen Nachbarn arrangieren mußte. Man weiß heute, daß seine Industrie Kriegsmaterial an Deutschland lieferte. Das Land hätte immer eine gewisse publizistische Zurückhaltung verlangen müssen, auch von einem Nobelpreisträger. Es führte auch ein Dossier mit Materialien, die gegen ihn sprachen, wie es schon die Münchener Politische Polizei gehandhabt hatte, wie es auch das amerikanische FBI wieder tun würde. Dennoch befand er sich in den Vereinigten Staaten in einem Land, das den Kampf gegen Hitler billigte und schließlich selber aktiv führte. Er schwamm in seinen ersten amerikanischen Jahren auf einem Strom der Zustimmung, fühlte sich befreit aus der vergifteten Enge des kranken Europa und empfand wohlig das Optimistische, herzhaft Zupackende und Gesunde der amerikanischen Mentalität.
    Im Ersten Weltkrieg noch hatte Mann die üblichen kulturkonservativen Vorurteile gehegt.

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