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Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser

Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser

Titel: Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kurzke
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Zuversicht, daß Wahrheit und heitere Form wohl seelisch befreiend wirken und die Welt auf ein besseres, schöneres, dem Geiste gerechteres Leben vorbereiten können.[ 12 ]
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Tagebücher
    Sein Leben lang hat Thomas Mann Tagebuch geschrieben, manchmal wenige Zeilen, manchmal auch drei Seiten, im Durchschnitt täglich eine halbe Druckseite. Aus Angst vor einer möglichen Kompromittierung hat er mehrfach Verbrennungsaktionen durchgeführt, so daß nur noch die Aufzeichnungen aus insgesamt 25 Jahren (von 1918–1921 und von 1933–1955) erhalten sind, rund 4400 Seiten. Aus den über sechzig Jahren, die Mann Tagebuch geführt hat, läßt sich das ursprüngliche Volumen auf rund 11.000 Seiten hochrechnen. Diese gewaltige Textmenge bildet neben den Dichtungen, den Essays und den Briefen eine vierte Werkgruppe von ganz eigener Art. Die sonst bekannten Charakteristika der Mannschen Prosa fehlen: das Makellose, das Souveräne, das flirrend Ironische. Statt dessen zeigt sich ein Mensch in seiner Not. Es war anstrengend, Thomas Mann zu sein. Die Sätze sind kurz («Später leichtes Gewitter. Las im Novalis. Ruhte in der Hütte.»[ 13 ]) oder bestehen überhaupt nur aus einem Wort («Melancholisch.»[ 14 ]). Die Subjektvokabel «ich» wird fastimmer ausgespart. Der Tonfall ist unausgeglichen, manchmal aggressiv, manchmal sentimental, manchmal narzißtisch, manchmal depressiv, immer aber wahrhaftig. Das Wetter, die Magenschmerzen, die Besucher, die Kinder, das Erfreuende, das Verstimmende, das am Tag Gelesene und Geschriebene kann ebenso Gegenstand sein wie politische Ereiferungen, familiäre Streitigkeiten und das Allerprivateste – Gefühle für Knaben, Betterlebnisse mit Katja, Potenz, Masturbation und Hämorrhoiden.
    Die Veröffentlichung der Tagebücher hat den Blick auf Thomas Mann fundamental verändert. Kein steifer und kalter Bürger fertigte dieses Werk, sondern ein unerfüllter, entwurzelter und verletzlicher Mensch rang es sich ab. Ein enormer seelischer Druck war erforderlich, es nach oben zu treiben. Die Tagebücher zeigen die Triebdiesel im Maschinenraum und die ölverschmierten Sklaven, die dort Dienst tun, während von außen nur das prächtige Schiff zu sehen ist, das stolz durch die Meere zieht.
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Buchenwald
    Als im April 1945 das Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar durch amerikanische Truppen befreit worden war, ordnete deren General an, daß die Bevölkerung Weimars an den Verbrennungsöfen und Leichenbergen vorbeizudefilieren habe. Die drastische Aktion durchlief die Presse. Auch Thomas Mann fühlte sich entehrt und beschämt.[ 15 ] Er nimmt das entsetzliche Ereignis in den
Doktor Faustus
auf und läßt seinen Erzähler Serenus Zeitblom die bisheute bedrängende Frage stellen, wie es sein wird, einem Volke anzugehören, dessen Geschichte dies gräßliche Mißlingen in sich trägt, und ob Deutschland in irgendeiner seiner Erscheinungen es sich noch herausnehmen dürfe, in menschlichen Angelegenheiten den Mund aufzutun.[ 16 ]
    Thüringen wurde am 1. Juli 1945 von den Amerikanern an die sowjetische Militärverwaltung übergeben, die das Lager Buchenwald sechs Wochen später wieder in Betrieb nahm, um dort politisch Mißliebige aller Art, insgesamt im Lauf der Jahre rund 28.000 Menschen, ohne Prozeß zu verwahren. Der Kommunismus lief Gefahr, dem Faschismus sehr ähnlich zu sehen. Um das Ansehen der neu gegründeten DDR nicht zu gefährden, wurde das Lager im Januar 1950 aufgelöst. Doch wurden über zweitausend verbliebene Buchenwaldhäftlinge ins Zuchthaus Waldheim verbracht, wo sie mit anderthalb tausend weiteren Gegnern des Stalinismus in Schnellverfahren abgeurteilt wurden, meistens zu mehr als zehnjährigem Freiheitsentzug.
    Als Thomas Mann 1949 in Frankfurt war, wurde er von einer «Gesellschaft zur Bekämpfung der Unmenschlichkeit» öffentlich aufgefordert, bei seinem Weimar-Aufenthalt auch Buchenwald zu visitieren. Das wäre natürlich ein Affront gegenüber seinen Gastgebern gewesen. Thomas Mann mußte das ablehnen, geriet aber in die peinliche Lage, daß sein Auftritt als Billigung des stalinistischen Terrors mißdeutet werden konnte. Der Vorwurf stak ihm wie eine Harpune im Fleisch. Er mußte sein Herz waschen. Am 19. Juni 1951 sandte er an Walter Ulbricht,den mächtigsten Mann der jungen DDR, einen langen und eindringlichen Brief, in dem er ihn zu einem Gnadenakt gegenüber den in Waldheim Verurteilten aufforderte. Ulbricht antwortete zwar nicht, ließ sich aber Häftlingsakten

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