Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser
Schönberg. Er vermochte nicht nur das Fachmusikalische zu vermitteln, sondern brachte auch einen großen philosophischen Horizont mit. Er half Thomas Mann insbesondere bei der Realisierung der fiktiven Kompositionen Adrian Leverkühns. Weil er auf gewissen Strecken fast als Mitautor betrachtet werden kann, sah Thomas Mann sich genötigt, «dem Dr. Adorno Credit zu geben»[ 9 ], was in einem Rechenschaftsbericht geschah, der unter dem Titel
Die Entstehung des Doktor Faustus
1949 erschien.
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Feinde
Während Adorno diese Hilfen gern und freiwillig und ohne finanzielle Entschädigung geleistet hat, zog der Faust-Roman auch Kontroversen nach sich mit Personen, die sich geschädigt fühlten. Seit der Suhrkamp-Ausgabe von Ende 1948 enden ein halbes Jahrhundert lang fast alle Drucke des Romans mit einer Nachbemerkung:
Es scheint nicht überflüssig, den Leser zu verständigen, daß die im XXII. Kapitel dargestellte Kompositionsart, Zwölfton- oder Reihentechnik genannt, in Wahrheit das geistige Eigentum eines zeitgenössischen Komponisten und Theoretikers, Arnold
Schönbergs
, ist […].[ 10 ]
Künstlerisch gesehen ist sie störend. Die Schlußzeilen des Romans sind ein emotionaler Höhepunkt, der durch die Nachbemerkung unangenehm kühl angeweht wird. Thomas Mann sah sich zu ihr genötigt, weil Schönberg sich bestohlen statt beschenkt fühlte und eine alberne Polemik anzettelte.
Oft war man sich nicht grün im Exil, obgleich man genug Gründe zur Solidarität gehabt hätte. Das gilt nicht nur für Schönberg, sondern auch für Bertolt Brecht und Alfred Döblin. Alle waren sie zeitweise Nachbarn im Einzugsbereich von Hollywood und Los Angeles und kannten einander. Brecht, proletarisch auftretend ohne Proletarier zu sein, haßte Thomas Mann wegen seines bürgerlichen Habitus und mißkannte den großen Künstlerkollegen. Dazu kamen politische Meinungsunterschiede. Thomas Mann war, wenn man die Dinge sehr vereinfacht, ein Anhänger der Kollektivschuldthese, während Brecht das deutsche Volk nicht als schuldiges, sondern als unterdrücktes und verführtes (von Kapitalisten und Faschisten) betrachtete.
Alfred Döblin schien einmal gleichrangig mit dem Autor des
Zauberbergs
, als er in den Endjahren der Weimarer Republik seinen avantgardistischen Roman
Berlin-Alexanderplatz
publizierte. Sein Haß auf Thomas Mann gründet ebenfalls in der Fehlinterpretation, Mann sei ein Bürger und nichts als das, Repräsentant einer untergehenden und zukunftslosen Spezies, an dem heraufsteigenden Neuen nicht beteiligt. Daß der Kollege auch im Exil noch Erfolg hatte und Döblin nicht, mischte Neid in die Debatte und machte sie giftig.
Die alten Feinde vom Typus Alfred Kerr, der Thomas Mann noch zu Kaisers Zeiten als fleißiges Literaturwürmchen verhöhnt hatte, hatten ein Muster in die Welt gesetzt, das sich wiederholte und vertiefte. Als der
Doktor Faustus
erschien, vermißte die westdeutsche Literaturkritik das Tiefgläubige und urtümlich Elementare. Außerdem verübelte das deutsche Publikum ihm die Kollektivschuldthese, aus allzu naheliegenden Gründen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wollte jeder in der inneren Emigration oder gar im Widerstand gewesen sein.
Aber auch in der Schweiz gab es böse Attacken, die sich wenig von den westdeutschen unterschieden. Sie beruhten auf der Vorstellung, der Dichter müsse ein seelengroß leidender Seher und Künder sein. Sie hatten den Untergang des Sehens und Kündens im Strudel des Hitlerreichs verpaßt. Walter Muschg schrieb in seiner
Tragischen Literaturgeschichte
über den Nicht-Dichter Thomas Mann:
Pausenlos verwandelt er alles, was einst heilig war, in den glitzernden Schaum seiner Romane. Sein Lieblingsvergnügen ist es, den Mythus in Psychologie zu verfälschen, wie es die Spatzen von den Dächern pfeifen. Er ergötzt eine verlorene Welt, ohne ihr die Spur einer rettenden Wahrheit in die Hand zu geben.[ 11 ]
Eine rettende Wahrheit hatte natürlich auch der tragische Literaturgeschichtler nicht. Viel mehr davon hatte jedenfalls der Angegriffene, der am Ende seines Essays
Versuch über Tschechow
den Skeptizismus und die spielende Ironie seines Dichtens mit einem bewegten Bekenntnis verteidigt:
Es ist nicht anders: Man ergötzt mit Geschichten eine verlorene Welt, ohne ihr je die Spur einer rettenden Wahrheit in die Hand zu geben. […] Und man arbeitet dennoch, erzählt Geschichten, formt die Wahrheit und ergötzt damit eine bedürftige Welt in der dunkeln Hoffnung, fast in der
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