Thondras Kinder - Roberts, A: Thondras Kinder
musste Warga alles genau erzählen. Als Rijana von dem Adler berichtete, hob sie überrascht die Augenbrauen. »Valwahir, der mächtige Adler«, murmelte sie.
Leá zuckte neben Rijana zusammen. »Bist du sicher?«, fragte sie.
Warga warf einen missbilligenden Blick auf Leá. »Natürlich, ein riesiger Adler, der seine Schwingen über die gesamten Länder ausbreitet – was soll das sonst sein?«
»Und was bedeutet das?«, fragte Rijana mit großen Augen.
Warga beugte sich vor und sagte mit bedeutsamer Stimme: »Das Ende der Welt.«
Rijana schluckte und riss die Augen auf. Eine Weile knackte nur das Feuer, dann begann die Hexe zu reden.
»Es gibt eine uralte Legende beim Steppenvolk, dass, wenn die Menschen sich zu sehr gegen die Natur stellen und die Völker verfeindet sind, Valwahir erscheint und das Ende der Welt ankündigt. Die Berge werden Feuer speien, die Meere sich erheben, und dann, dann soll der Beginn eines neuen Zeitalters anbrechen.«
»So wie damals, als der lange Winter anbrach?«, fragte Rijana atemlos.
Warga schüttelte den Kopf. »Der lange Winter war dagegen ein Kinderspiel. Nein, es wird alles zerstört, damit es wieder neu entstehen kann.«
»Ist das wahr?«, fragte Rijana und blickte nacheinander Warga und Leá an, die beide ernste Gesichter machten.
»Das weiß auch ich nicht. Es ist, wie gesagt, eine Legende«, antwortete die Hexe. Dann lächelte sie. »Bist du bereit, deine Zeichen zu erhalten?«
Rijana nickte und zog ihr Hemd aus.
»Gut, dann kann Leá die Tätowierungen anbringen.«
»Ich?« Leá blickte die Hexe entsetzt an.
Warga nickte. »Natürlich, du bist so weit, ich habe dich unterwiesen.«
»Aber … aber ich kann es nicht so gut wie du«, stammelte die junge Steppenfrau und blickte Rijana verzweifelt an. »Ich möchte nichts verderben.«
Die alte Frau kicherte. »Du bist die beste Künstlerin, die ich
jemals gesehen habe. Deine Schnitzereien und Bemalungen sind wunderbar, und du hast doch bereits einigen Kindern die ersten Tätowierungen gemacht.« Warga grinste Rijana an, die ein wenig unsicher aussah. »Leás Hand ist ruhiger als die zittrige einer uralten Frau.«
Leá sah noch immer sehr erschrocken aus. »Ich weiß nicht«, murmelte sie.
Doch Rijana fasste sich ein Herz und nahm Leás Hand in ihre. »Ich vertraue dir.«
»Bist du sicher?«, fragte sie, und Rijana nickte, obwohl sie überzeugter wirkte, als sie wirklich war.
Warga wirkte zufrieden. »Du kannst die Zeichen zunächst aufmalen und später einbrennen. Wenn du nicht weiterweißt, werde ich dir helfen«, versprach Warga Leá, die sehr unglücklich wirkte.
Rijana schluckte, und Warga sagte beruhigend: »Ich werde dir einen Trank geben, dann tut es nicht so weh, aber ein wenig musst du es spüren, das gehört dazu.«
Rijana nahm den Trank entgegen, den Warga ihr reichte.
Leá atmete tief durch und nahm von Warga eine Nadel an, die sie ins Feuer legte. Sie lächelte Rijana noch einmal unsicher zu. »Die verschlungenen Pfade von Schwert und Pfeil, die ihre Zugehörigkeit zu beiden Völkern anzeigen …«, sagte sie halb zu sich, halb zu der Hexe gewandt.
Warga nickte zufrieden, und Leá begann mit einem feinen Pinsel Linien auf Rijanas Oberarm zu zeichnen.
»… elfische Runen, die der Menschen und der Zwerge …«, murmelte sie und malte feine Runen zwischen die verschlungenen Linien, die Schwert und Pfeilspitze verbanden.
»… in der Mitte Valwahir, der Überbringer von Zerstörung und Neubeginn.«
Sie zeichnete konzentriert einen Adler in die Mitte. Es nahm einige Zeit in Anspruch, und Rijana verrenkte sich den Hals, um etwas zu sehen.
»Du musst stillhalten«, schimpfte Leá, »besonders, wenn ich später mit der Nadel arbeite.«
Schließlich war Leá fertig, nahm unsicher die glühende Nadel in die Hand und warf Warga noch einen verzweifelten Blick zu, doch diese nickte nur beruhigend.
»Sag, wenn du nicht mehr kannst«, sagte Leá besorgt zu Rijana.
»Hmm«, murmelte diese vom Trank leicht betäubt und legte sich auf einen Haufen Felle. Die ersten Stiche taten ziemlich weh, und Rijana biss sich auf die Lippen, aber mit der Zeit wurde es ein wenig erträglicher. Alles verschwamm zu einem diffusen Licht, und Rijana verspürte nur hin und wieder ein schwaches Pieksen.
Leá arbeitete andächtig, und es war bereits spät in der Nacht, als sie den dunklen Saft der Halkawann-Wurzel in die Wunden laufen ließ, die später die Linien bilden würden. Rijana zuckte zusammen – es brannte
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