Thondras Kinder - Roberts, A: Thondras Kinder
die schweren Eingangstore. Brogan hob die fest schlafende Rijana auf seine Arme, und Rudrinn lief hinter ihm her. Jetzt war er wieder hellwach und betrachtete alles mit größtem Interesse. Sie traten in eine hohe Eingangshalle, von der aus Treppen auf eine Galerie führten. Brogan betrat gerade die rechte Steintreppe mit dem breiten Geländer, als eine mächtige Stimme ertönte.
»Du kommst spät, Brogan!«
Rudrinn fuhr erschrocken herum, und auch Rijana wachte in Brogans Armen auf. Sie zappelte, und er ließ sie auf den steinernen Boden sinken.
Ein großer, sehr beeindruckend wirkender Mann kam auf sie zu. Er hatte dunkelgraue Haare und einen kurzen Bart. Seine Augen wirkten streng und hart, und er ging sehr aufrecht. In der Hand hielt er einen langen Stock, in den Runen geschnitzt waren. Doch das Ungewöhnlichste an ihm war sein Umhang, der die Farbe ständig zu verändern schien. Rudrinn blinzelte. Er glaubte, dass es an seiner Müdigkeit liegen würde.
»Lasst die Kinder schlafen gehen. Ich erkläre morgen alles«, meinte Brogan, der selbst müde war.
Hawionn, das Oberhaupt der Schule von Camasann, betrachtete die Kinder eindringlich, und Rudrinn und Rijana hatten plötzlich das schlechte Gefühl, als wären sie ein Stück Handelsware, das abschätzend betrachtet wurde.
»Nun gut«, meinte Zauberer Hawionn streng und wandte sich ab. »Bring sie in eines der Gästezimmer.«
Brogan nickte erleichtert, denn er war froh, dass Hawionn den beiden eine anstrengende Musterung ersparte. Der Zauberer führte die Kinder in den ersten Stock und öffnete die Holztür eines Zimmers, in dem sich zwei schmale Betten
und ein Tisch befanden, auf dem ein tönerner Krug mit Wasser stand.
»Gut, morgen bekommt ihr eure Zimmer zu sehen«, meinte der Zauberer mit einem aufmunternden Lächeln. »Schlaft nun, ich hole euch morgen früh.« Damit verschwand er aus dem Raum, und Rijana und Rudrinn blieben ein wenig verlegen zurück. Rudrinn war unruhig. Er hatte noch nie in einem steinernen Raum geschlafen. Bisher hatte er die Nächte entweder im Freien oder auf einem Schiff verbracht. Rijana hingegen ließ sich einfach auf das Bett fallen und war wenige Augenblicke später eingeschlafen.
Rudrinn trat zu dem schmalen Fenster und zog den dicken Vorhang zur Seite. Blitze zuckten in der Ferne, und die Sterne waren von Wolken verdeckt.
»Rammatoch, Gott des Meeres, bring mich bald wieder zurück auf die See«, flüsterte der Piratenjunge hinaus in die Finsternis, doch schließlich legte auch er sich schlafen.
KAPITEL 3
Ursann
N ach der unglücklichen ersten Begegnung mit König Scurr wurde Ariac zusammen mit den anderen Kindern in einen großen, kahlen Schlafsaal geführt. Ein schweigender junger Krieger mit kurzgeschorenen Haaren gab jedem eine Decke. »Ihr werdet zum Essen gerufen«, sagte er knapp.
Sofort gab es einiges Gerangel um die wenigen mit Stroh ausgelegten freien Plätze in dem Raum. Ariac hatte gar kein Interesse daran, denn die Jungen lagen dicht an dicht. Er suchte sich eine freie Stelle am Fenster, denn er fand die Luft ohnehin schon stickig genug. Die Jungen, die sich gerade in dem Raum aufhielten, begutachteten die Neuankömmlinge mit einer Mischung aus Neugier und Verachtung. Sie hielten sich wohl für etwas Besseres. Vom kleinen Jungen von vielleicht gerade einmal fünf bis sechs Jahren, bis zum jungen Mann an der Grenze zum Erwachsenwerden war hier alles vertreten. Die ausgebildeten Soldaten dagegen hatten eigene, etwas komfortablere Unterkünfte in den Ruinen. Besonders Ariac mit seinen Tätowierungen an den Schläfen wurde angestarrt, und Morac verkündete natürlich sofort, dass der Steppenjunge Abschaum wäre. Ein hochgewachsener Junge mit kurzgeschorenen blonden Stoppeln, der eigentlich recht gutaussehend gewesen wäre, wenn er nicht so einen arroganten Zug um die Augen gehabt hätte, kam auf Ariac zu und baute sich vor ihm auf.
»Ich bin hier der Älteste und damit der Anführer«, stellte er
klar, »mein Name ist Lugan, und ich stehe in der Gunst von König Scurr.«
»Beeindruckend«, antwortete Ariac zynisch und begann, seine Decke auszubreiten.
Lugan ergriff Ariac von hinten und drückte ihn brutal gegen die raue Wand. Er war vier Jahre älter und dementsprechend größer und kräftiger, doch Ariac blieb ruhig.
»Du solltest dich lieber gut mit mir stellen, sonst wird es dir leidtun«, drohte er.
Ariac packte blitzschnell den Arm des größeren Jungen, drehte ihn um und warf den überraschten
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