Throne of Glass – Die Erwählte
obwohl Gegengifte bereitstanden. Celaena legte den Kopf in den Nacken und hob einen der Becher an die Nase. Süß – zu süß. Sie schwenkte den Dessertwein, mit dem man die Süße zu kaschieren versucht hatte, aber in dem Bronzebecher war die Farbe schwer zu erkennen. Sie tauchte den Finger hinein und betrachtete die dunkelrote Flüssigkeit, die von ihrem Nagel tropfte. Eindeutig Tollkirsche.
Sie blickte auf die anderen Becher, die sie identifiziert hatte. Schierling. Kanadische Blutwurz. Eisenhut. Oleander. Sie brachte die Becher in die richtige Reihenfolge und schob die Tollkirsche direkt vor den Becher mit der tödlichen Dosis Oleander. Noch drei Minuten.
Celaena hob den vorletzten Becher und schnupperte. Schnupperte noch einmal. Er roch nach gar nichts.
Sie drehte das Gesicht vom Tisch weg und sog Luft ein, um die Nase zu reinigen. Beim Ausprobieren von Parfüm verloren die Leute manchmal den Geruchssinn, wenn sie an zu vielen gerochenhatten. Deshalb hatten Parfümeure meist etwas bei der Hand, um die Nase vom Duft zu reinigen. Celaena schnupperte noch einmal am Becher und tunkte den Finger hinein. Es roch nach Wasser, sah aus wie Wasser …
Vielleicht war es wirklich bloß Wasser. Sie setzte das Gefäß ab und griff nach dem letzten Becher. Aber der Wein darin roch auch nicht ungewöhnlich. Er schien in Ordnung zu sein. Sie biss sich auf die Lippe und sah zur Uhr. Noch zwei Minuten.
Einige der anderen Champions fluchten leise vor sich hin. Wessen Reihenfolge die meisten Fehler aufwies, musste nach Hause.
Celaena roch erneut am Wasserbecher und ging im Geist fieberhaft eine Liste von geruchlosen Giften durch. Keines davon konnte mit Wasser kombiniert werden, ohne es zu färben. Sie hob den Weinbecher hoch, schwenkte den Inhalt. Wein konnte zahllose tödliche Gifte überdecken – aber welches war es?
Am Tisch links von ihr fuhr Nox sich durch die dunklen Haare. Drei Becher standen vor ihm, die anderen vier in einer Reihe dahinter. Noch neunzig Sekunden.
Gifte, Gifte, Gifte. Ihr Mund wurde trocken. Würde Elena sie aus Rache heimsuchen, wenn sie verlor?
Als Celaena nach rechts blickte, merkte sie, dass Pelor, der schlaksige junge Assassine, sie beobachtete. Er war bei denselben beiden Bechern angelangt, mit denen auch sie kämpfte, und sie sah, wie er das Wasser ans giftige Ende der Reihe stellte und den Wein ganz nach vorn.
Er warf ihr einen kurzen Blick zu und senkte das Kinn zu einem kaum merklichen Nicken. Dann steckte er die Hände in die Taschen. Er war fertig. Bevor Brullo sie ertappen konnte, wandte Celaena sich rasch ihren eigenen Bechern zu.
Gifte. Das hatte der junge Assassine bei der ersten Prüfung gesagt. Er kannte sich mit Giften aus.
Sie warf einen Seitenblick auf ihn. Pelor stand rechts von ihr.
Sieh nach rechts. Dort wirst du die Antwort finden.
Es lief ihr eiskalt den Rücken hinunter. Elena hatte die Wahrheit gesagt.
Pelor starrte auf die Uhr, beobachtete den Countdown der Sekunden bis zum Ende der Prüfung. Aber warum sollte er ihr helfen?
Sie schob den Becher mit Wasser ans Ende der Reihe und stellte den Wein nach vorn.
Weil Cain ihn nach ihr am liebsten drangsalierte. Während ihrer Zeit in Endovier hatte sie ihre Verbündeten nie unter den Lieblingen der Aufseher gefunden, sondern unter denen, die die Aufseher am meisten gehasst hatten. Die Außenseiter passten aufeinander auf. Keiner der anderen Champions hatte auf Pelor geachtet – selbst Brullo schien seine Bemerkung von damals vergessen zu haben. Sonst hätte er nie zugelassen, dass die Prüfung öffentlich ablief.
»Die Zeit ist um. Legt eure Reihenfolge fest«, sagte der Waffenmeister und Celaena starrte noch einmal auf die Reihe mit den Bechern. Von der Längsseite des Raums aus sahen Dorian und Chaol mit verschränkten Armen zu. Hatten sie Pelors Hilfe bemerkt?
Nox stieß einen unflätigen Fluch aus und ordnete genau wie viele der anderen Teilnehmer seine restlichen Becher ein. Falls Fehler gemacht wurden, standen Gegengifte bereit – und als Brullo zwischen den Tischen hindurchging und die Champions zum Trinken aufforderte, musste er ständig welche aushändigen. Die meisten hatten den reinen Wein für eine Falle gehalten und ihn ans Ende der Reihe gestellt. Sogar Nox musste ein Fläschchen mit Gegengift schlucken; er hatte den Eisenhut nach vorn gestellt.
Und Cain lief zu ihrem Vergnügen knallrot an, weil er Tollkirsche getrunken hatte. Als er das Gegengift in sich hineinkippte,bedauerte sie, dass es
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