Throne of Glass – Die Erwählte
Brullo nicht aus unerfindlichen Gründen ausgegangen war. Bisher gab es noch keinen Gewinner. Ein Champion trank das Wasser und lag auf dem Boden, bevor Brullo ihm das Gegengift reichen konnte. Bloodbane – ein scheußliches, qualvolles Gift. Selbst kleinste Mengen konnten wilde Halluzinationen und Bewusstseinstrübungen hervorrufen. Zum Glück konnte der Waffenmeister ihm das Gegengift einflößen, auch wenn der Champion trotzdem schnellstens zu einem Heiler gebracht werden musste.
Schließlich blieb Brullo an Celaenas Tisch stehen, um ihre Reihe Becher zu überprüfen. Sein Gesicht verriet nichts, als er sagte: »Dann mal los.«
Celaena sah kurz zu Pelor, dessen haselnussbraune Augen leuchteten, als sie den Becher mit Wein an die Lippen hob und einen Schluck trank.
Nichts. Kein merkwürdiger Beigeschmack, keine spontane Reaktion. Manche Gifte wirkten nicht sofort, aber …
Brullo streckte ihr die Faust entgegen und ihr Magen krampfte sich zusammen. Hielt er darin das Gegengift?
Aber seine Finger spreizten sich und er klopfte ihr nur auf den Rücken. »Genau das Richtige – einfach nur Wein«, sagte er und die Champions hinter ihm begannen zu murmeln.
Er ging weiter zu Pelor, dem letzten Champion, und der junge Mann trank ebenfalls den Becher Wein. Brullo grinste ihn an und packte ihn an der Schulter. »Noch ein Gewinner.«
Die Ratsherren und Trainer applaudierten vereinzelt und Celaena schenkte dem Assassinen ein dankbares Lächeln. Er grinste zurück und lief vom Hals bis zu den Haarwurzeln rot an.
Okay, sie hatte also ein bisschen gemogelt, aber sie hatte gewonnen. Sie konnte damit leben, den Sieg mit einem Verbündeten zu teilen. Und ja, Elena passte auf sie auf – aber das änderte nichts.Selbst wenn ihr Weg und Elenas Auftrag jetzt eng miteinander verknüpft waren, würde sie nicht der Champion des Königs werden, nur um den Plänen eines Geists zu dienen – Plänen, die Elena nun schon zum zweiten Mal nicht preisgegeben hatte.
Auch wenn sie ihr gesagt hatte, wie sie die Prüfung bestehen konnte.
32
N achdem sie ihren Unterricht zugunsten eines Spaziergangs abgekürzt hatten, schlenderten Celaena und Nehemia durch die weitläufigen Flure des Schlosses, die Wachen im Schlepptau. Was auch immer Nehemia über den Trupp von Leibgardisten denken mochte, die Celaena überallhin folgten, sie sagte nie etwas dazu. Obwohl es bis zum Julfest – und den letzten Zweikämpfen fünf Tage danach – nur noch einen Monat war, trafen sich Celaena und die Prinzessin täglich für eine Stunde vor dem Abendessen und sprachen abwechselnd Eyllwe und Adarlan. Celaena ließ Nehemia aus Büchern aus der Bibliothek vorlesen und ganze Passagen Buchstaben für Buchstaben abschreiben, bis sie fehlerfrei waren.
Seitdem sie mit dem Unterricht begonnen hatten, sprach die Prinzessin Adarlan sehr viel fließender, obwohl sie sich meistens auf Eyllwe unterhielten. Ob sie das aus Bequemlichkeit taten oder um bei anderen für gehobene Augenbrauen und offene Münder zu sorgen oder vielleicht, damit ihre Unterhaltungen vertraulich blieben – der Assassinin erschien Eyllwe einfach von Vorteil. Zumindest etwas hatte Endovier sie gelehrt.
»Du bist still heute«, sagte Nehemia. »Ist etwas?«
Celaena lächelte schwach. Klar war etwas. Sie hatte letzte Nacht so schlecht geschlafen, dass sie sich die Dämmerung sehnlichst herbeigewünschthatte. Ein weiterer Champion war tot. Ganz zu schweigen davon, dass da immer noch Elenas Auftrag war. »Ich habe nur die halbe Nacht gelesen, nichts weiter.«
Sie betraten einen Teil des Schlosses, den Celaena noch nie gesehen hatte. »Ich spüre viel Sorge in dir«, sagte Nehemia plötzlich, »und ich höre vieles, was du nicht sagst. Du sprichst nie über irgendwelche Probleme, obwohl deine Augen sie verraten.« War sie so durchschaubar? »Wir sind Freundinnen«, fügte Nehemia weich hinzu. »Ich bin da, wenn du mich brauchst.«
Celaena spürte einen Kloß im Hals und sie legte Nehemia die Hand auf die Schulter. »Es ist lange her, dass mich jemand eine Freundin genannt hat«, sagte die Assassinin. »Ich …« Ein tintiges Schwarz kroch in einem Winkel ihres Gedächtnisses hoch. »Es gibt Seiten an mir, die ich …« Dann hörte sie es, das Geräusch, das sie in ihren Träumen verfolgte. Donnernd stampfende Hufe. Celaena schüttelte den Kopf und das Geräusch verstummte. »Danke, Nehemia«, sagte sie aufrichtig. »Du bist eine echte Freundin.«
Ihr Herz war wund und zitterte und die
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