Throne of Glass – Die Erwählte
normal. Chaol sah zu Kaltain. Hatte sie die sonderbare Veränderung bemerkt? Nein, ihr Gesicht blieb unverändert. Da war keine Verunsicherung, keine Überraschung zu bemerken. Sie blickte ihn oberflächlich an, so als wäre sie mehr daran interessiert, ob seine Jacke zu ihrem Kleid passte. Chaol reckte sich noch einmal und stand auf. Während er durch den Speisesaal schritt, ließ er den Blick schweifen. So seltsam die Sache auch war, er hatte andere Sorgen. Der Herzog war ehrgeizig, aber gewiss keine Gefahr für das Schloss oder seine Bewohner. Doch selbst auf dem Weg zu seinen Gemächern wurde der Captain der Garde das Gefühl nicht los, dass Herzog Perrington auch ihn beobachtet hatte.
31
J emand stand am Fußende ihres Bettes.
Das wusste Celaena, lange bevor sie die Augen aufmachte. Wie beiläufig ließ sie die Hand unter ihr Kopfkissen gleiten und tastete nach dem aus Haarnadeln, Schnur und Seife gefertigten behelfsmäßigen Messer.
»Das ist nicht nötig«, ertönte eine Frauenstimme, und Celaena setzte sich auf, als sie Elena erkannte. »Und es wäre auch völlig wirkungslos.«
Beim Anblick des schimmernden Geists der ersten Königin von Adarlan gefror ihr das Blut in den Adern. Elena war zwar vollkommen ausgeformt, aber die Umrisse ihres Körpers leuchteten, als wäre sie aus Sternenlicht gemacht. Ihr langes, silbernes Haar umrahmte ihr wunderschönes Gesicht und sie beobachtete lächelnd, wie Celaena ihr absolut lächerliches kleines Messer beiseitelegte. »Hallo, mein Kind«, sagte die Königin.
»Was wollt Ihr?«, fragte Celaena, sprach aber gedämpft. Träumte sie oder konnten die Wachen sie hören? Ihre Muskeln spannten sich an, die Beine machten sich bereit, aus dem Bett zu springen – vielleicht zum Balkon, da Elena zwischen ihr und der Tür stand.
»Euch nur daran erinnern, dass Ihr diesen Wettkampf unbedingt gewinnen müsst.«
»Das habe ich sowieso vor.« Deshalb war sie aufgeweckt worden? »Und zwar nicht für Euch«, fügte sie kühl hinzu. »Sondern für meine Freiheit. Habt Ihr irgendetwas Sinnvolles zu sagen oder wollt Ihr mir nur auf die Nerven gehen? Vielleicht könntet Ihr mir einfach noch etwas zu diesem bösen Wesen sagen, das die Champions einen nach dem anderen zur Strecke bringt.«
Elena blickte seufzend zur Decke. »Ich weiß genauso wenig wie du.« Als Celaena weiter die Stirn runzelte, fügte sie hinzu: »Du vertraust mir noch nicht. Das verstehe ich. Aber wir beide stehen auf derselben Seite, ob du es glauben magst oder nicht.« Sie richtete den Blick wieder nach unten auf die Assassinin und sah sie durchdringend an. »Ich wollte dich nur ermahnen, deine rechte Seite nicht aus den Augen zu lassen.«
»Wie bitte?« Celaena legte den Kopf schief. »Was soll das heißen?«
»Sieh nach rechts. Dort wirst du die Antwort finden.«
Celaena blickte nach rechts, sah aber nur den Gobelin, hinter dem sich der Geheimgang verbarg. Sie wollte Elena gerade eine schnippische Antwort geben, doch als sie sich umsah, war die Königin verschwunden.
~
Bei der Prüfung am nächsten Tag betrachtete Celaena eingehend den kleinen Tisch vor sich und all die Becher darauf. Seit Samhain waren gut zwei Wochen vergangen und sie hatte zwar eine weitere Prüfung bestanden – zu ihrer Erleichterung Messerwerfen –, aber erst vor zwei Tagen war noch ein Champion tot aufgefunden worden. Seither hatte sie so gut wie nicht mehr geschlafen. Wenn sie nicht gerade nach Hinweisen suchte, was die Wyrdzeichen um die Leichen herum zu bedeuten hatten, verbrachte sie den größtenTeil der Nacht hellwach, beobachtete ihre Fenster und Türen und lauschte auf das Kratzen von Krallen auf Stein. Die Wachen der königlichen Leibgarde vor ihrer Tür waren keine Hilfe; wenn diese Bestie imstande war, auf Marmor solche Spuren zu hinterlassen, wurde sie auch mit mehreren Männern fertig.
Brullo stand an der Stirnseite der Trainingshalle, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, und beobachtete die dreizehn verbliebenen Kandidaten vor den dreizehn Tischen. Er blickte zur Uhr. Celaena ebenfalls. Sie hatte noch fünf Minuten – fünf Minuten, in denen sie nicht nur die Gifte in sieben Bechern bestimmen, sondern sie auch in die richtige Reihenfolge vom harmlosesten zum tödlichsten bringen sollte.
Die eigentliche Prüfung käme jedoch nach diesen fünf Minuten. Sie würden aus dem Becher trinken müssen, den sie für den harmlosesten hielten. Wenn die Antwort falsch war … dann würde es unerfreulich werden,
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