Throne of Glass – Die Erwählte
menschliches Leben zu verspüren?
Dorians Mund wurde trocken. Celaena stammte aus Terrasen – ebenfalls ein besetztes Land, die erste Eroberung seines Vaters. Es war ein Wunder, dass Celaena ihn überhaupt zur Kenntnis nahm – oder vielleicht war sie schon so lange in Adarlan, dass ihr das Schicksal ihrer Heimat egal war? Aber das glaubte Dorian nicht – nicht bei den drei riesigen Narben auf ihrem Rücken, die sie für immer an die Brutalität seines Vaters erinnern würden.
»Ist etwas?«, fragte sie. Vorsichtig, neugierig. Als läge ihr etwas daran. Er holte tief Luft und ging zum Fenster, außerstande, sie anzusehen. Die Scheibe unter seiner Hand war kalt und er beobachtete, wie die Schneeflocken auf die Erde sanken.
»Ihr müsst mich hassen«, murmelte er. »Mich und meinen ganzen Hofstaat, weil wir so oberflächlich und unbekümmert sind, obwohl außerhalb dieser Stadt so viele schreckliche Dinge vor sich gehen. Ich habe davon gehört, dass man diese Aufständischen abgeschlachtethat, und ich … ich schäme mich.« Den Kopf ans Fenster gelehnt, hörte er, wie sie aufstand und sich in einen Stuhl fallen ließ. Die Worte sprudelten über seine Lippen, er konnte nicht aufhören zu reden. »Ich verstehe, warum es Euch leichtfällt, Leute wie mich zu töten. Und ich mache Euch keinen Vorwurf.«
»Dorian«, sagte sie sanft.
Die Welt außerhalb des Schlosses lag im Dunkeln. »Ich weiß, dass Ihr es mir niemals sagen werdet«, sprach er weiter und fasste etwas in Worte, das ihm schon länger im Kopf herumging. »Euch muss etwas Schreckliches zugestoßen sein, als Ihr klein wart, etwas, das mein Vater vielleicht selbst getan hat. Ihr habt das Recht, Adarlan dafür zu hassen, dass es die Herrschaft über Terrasen an sich gerissen hat – dass es sich alle Länder genommen hat, auch das Land Eurer Freundin.«
Er schluckte, seine Augen brannten. »Ihr werdet mir nicht glauben. Aber … ich will das nicht. Was bin ich für ein Mann, wenn ich zulasse, dass mein Vater seine Leute zu solch unentschuldbaren Grausamkeiten anstachelt! Aber selbst wenn ich ihn bäte, in den eroberten Königreichen Milde walten zu lassen, würde er nicht auf mich hören. Nicht in dieser Welt – der Welt, in der ich Euch nur zu meinem Champion gemacht habe, weil ich wusste, dass es meinen Vater ärgern würde.« Celaena schüttelte den Kopf, aber Dorian sprach weiter. »Wenn ich mich geweigert hätte, einen Champion auszuwählen, hätte mein Vater das als Zeichen von Auflehnung gewertet, und ich bin noch nicht bereit, mich gegen ihn zu stellen. Also habe ich mich für Adarlans Assassinin entschieden, denn die Wahl meines Champions war die einzige Wahl, die ich hatte.«
Ja, jetzt hatte er alles offen gesagt. »Das Leben sollte anders sein«, fügte er hinzu und ihre Blicke trafen sich, als er in den Raum deutete. »Und … und die ganze Welt sollte anders sein.«
Die Assassinin schwieg, lauschte dem Klopfen ihres Herzens,bevor sie das Wort ergriff. »Ich hasse Euch nicht«, sagte sie so leise, dass es kaum zu hören war. Dorian ließ sich auf den Stuhl ihr gegenüber fallen und stützte den Kopf in die Hand. Er wirkte erstaunlich einsam. »Und ich glaube nicht, dass Ihr wie sie seid. Es – es tut mir leid, wenn ich Euch gekränkt habe. Ich mache die meiste Zeit nur Spaß.«
»Mich gekränkt?«, fragte er. »Ihr habt mich doch nicht gekränkt! Ihr habt die Sache einfach nur … ein bisschen unterhaltsamer gemacht.«
Sie legte den Kopf schief. »Nur ein bisschen?«
»Vielleicht eine Spur mehr als das.« Er streckte die Beine aus. »Ach, könntet Ihr mich doch zum Julball begleiten! Seid froh, dass Ihr nicht mitkommen dürft.«
»Warum darf ich nicht mitkommen? Und was ist der Julball?«
Er stöhnte. »Eigentlich nichts Besonderes. Nur ein Maskenball, der zufällig am Julfest stattfindet. Und Ihr wisst ganz genau, warum Ihr nicht mitkommen dürft.«
»Es macht Euch und Chaol wirklich Spaß, mir jedes Vergnügen zu verderben, stimmt’s? Ich gehe so gern auf Partys.«
»Sobald Ihr der Champion meines Vaters seid, könnt Ihr auf so viele Bälle gehen, wie Ihr wollt.«
Sie verzog das Gesicht. Er hätte ihr gern gesagt, dass er sie sofort bitten würde, ihn zu begleiten, wenn es nach ihm ginge; dass er mehr Zeit mit ihr verbringen wollte, dass er sogar an sie dachte, wenn sie nicht zusammen waren. Aber er wusste, dass sie ihn ausgelacht hätte.
Die Uhr schlug Mitternacht. »Ich sollte besser gehen«, sagte er und reckte sich.
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