Throne of Glass – Die Erwählte
Dorian war direkt nach dem Abendessen zu ihr gekommen und hatte sie zu einem Spaziergang eingeladen. Er war aufgetaucht, sobald ihre Dienerinnen den Tisch abgetragen hatten, sodass sie fast glaubte, er hatte draußen gewartet.
Natürlich lag es nur an der Kälte, dass sie sich am liebsten bei ihm untergehakt und seine Wärme gespürt hätte. Der weiße, pelzgefütterte Umhang konnte die eisige Luft kaum von ihrem Körper fernhalten. Sie konnte sich nur ungefähr vorstellen, wie Nehemia auf solche Temperaturen reagieren würde. Aber nachdem die Prinzessinvom Schicksal der Rebellen erfahren hatte, verbrachte sie die meiste Zeit in ihren Gemächern und hatte Celaenas wiederholten Vorschlag, spazieren zu gehen, ausgeschlagen.
Seit ihrer letzten Begegnung mit Elena waren drei Wochen vergangen, danach hatte sie nichts mehr von ihr gesehen oder gehört, trotz der drei Prüfungen, die sie seither absolviert hatte. Am aufregendsten war ein Hindernislauf gewesen, den sie mit ein paar harmlosen Kratzern und Prellungen überstand. Leider hatte Pelor nicht so gut abgeschnitten und war zu guter Letzt doch nach Hause geschickt worden. Aber er hatte noch Glück gehabt: Drei andere Kandidaten waren tot. Alle waren in abgelegenen Fluren aufgefunden worden, alle bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Mittlerweile zuckte sogar sie selbst bei jedem unerwarteten Geräusch zusammen.
Jetzt waren sie nur noch sechs: Cain, Grave, Nox, ein Soldat und Renault, ein bösartiger Söldner, der als Ersatz für Verin zu Cains rechter Hand aufgestiegen war. Erwartungsgemäß war es Renaults neue Lieblingsbeschäftigung, Celaena zu verhöhnen.
Als sie an einem Brunnen vorbeikamen und sie Dorian dabei ertappte, wie er sie bewundernd aus den Augenwinkeln ansah, schob sie die Gedanken an die Morde beiseite. Natürlich hatte sie kein bisschen an Dorian gedacht, als sie sich für diesen Abend ein so feines lavendelblaues Kleid ausgesucht hatte, ihr Haar so sorgfältig frisieren ließ und darauf achtete, dass ihre weißen Handschuhe makellos waren.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Dorian. »Wir haben schon zwei Runden durch den Garten gedreht.«
»Müsst Ihr denn keinen prinzlichen Pflichten nachkommen?« Celaena zuckte zusammen, als eine eisige Windbö ihr die Kapuze vom Kopf fegte und ihre Ohren augenblicklich gefroren. Als sie die Kapuze wieder übergestreift hatte, merkte sie, dass Dorian auf ihren Hals starrte. »Was ist?«, fragte sie und schlang ihren Umhang fester um sich.
»Ihr tragt immer diese Halskette«, sagte er. »Ist sie auch ein Geschenk?« Obwohl sie Handschuhe anhatte, richtete er den Blick auf ihre Hand – an der der Amethystring steckte – und das Funkeln in seinen Augen erlosch.
»Nein.« Sie bedeckte das Amulett mit der Hand. »Ich habe sie in meinem Schmuckkästchen gefunden und mochte sie einfach, Ihr unausstehlicher Platzhirsch.«
»Sie sieht sehr alt aus. Ihr habt Euch an der königlichen Schmuckschatulle vergriffen, stimmt’s?« Er zwinkerte, aber sie spürte keine Wärme in seinen Worten.
»Nein«, wiederholte sie scharf. Sie würde sich nicht von der Kette trennen, auch wenn ein Amulett sie nicht vor dem Mörder schützen würde und Elena ihre Pläne für sich behielt. Irgendwie tröstete das Schmuckstück sie in den langen Stunden, in denen sie wach lag und ihre Tür im Auge behielt.
Dorian starrte ihre Hand an, bis sie sie vom Hals wegnahm. Er betrachtete den Anhänger. »Als ich klein war, habe ich Geschichten über die Anfänge von Adarlan gelesen; Gavin war mein Held. Ich muss alle Legenden verschlungen haben, die irgendetwas mit dem Krieg gegen Erawan zu tun hatten.«
Wie kann er nur so clever sein? Er kann unmöglich wissen, von wem ich es habe . Sie tat ihr Bestes, um harmlos interessiert dreinzublicken. »Und?«
»Elena, die erste Königin von Adarlan, besaß ein magisches Amulett. In der Schlacht gegen den Dunklen Lord standen Gavin und Elena ihm wehrlos gegenüber. Er wollte die Prinzessin gerade töten, da tauchte ein Geist auf und gab ihr die Halskette. Und sobald sie sie anlegte, konnte Erawan ihr nichts mehr anhaben. Sie sah den Dunklen Lord als das, was er war, und nannte ihn bei seinem richtigen Namen. Das verblüffte ihn so sehr, dass er abgelenkt war und Gavin ihn erschlagen konnte.« Dorian sah auf den Boden. »IhreHalskette wurde ›Elenas Auge‹ genannt; sie ist seit Jahrhunderten verschollen.«
Wie seltsam, dass Dorian, der Sohn des Mannes, der alle Spuren von Magie beseitigt und
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