Throne of Glass – Die Erwählte
der Nähe des Uhrturms, der wie immer schwarz und bedrohlich aufragte. Vor ihm kniete Cain. Anscheinend betrachtete er etwas am Boden.
Beim Geräusch ihrer Schritte schoss sein Kopf blitzartig nach oben. Er grinste breit und richtete sich auf. Celaena sah, dass seineHände schmutzig waren, doch bevor sie ihn genauer betrachten konnte oder begriff, was er hier tat, nickte er Chaol zu und verschwand hinter dem Turm.
»Widerlicher Kerl«, flüsterte Celaena, während sie immer noch in die Richtung starrte, in der er verschwunden war.
»Wer war das?«, fragte Nehemia auf Eyllwe.
»Ein Soldat der königlichen Armee«, sagte Celaena, »jetzt dient er allerdings Herzog Perrington.«
Nehemia hatte Cain ebenfalls hinterhergeblickt und ihre dunklen Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Er hat etwas an sich, dass ich ihm am liebsten ins Gesicht schlagen möchte.«
Celaena lachte. »Da bin ich aber froh, dass es nicht nur mir so geht.«
Chaol setzte sich schweigend wieder in Bewegung. Sie und Nehemia schlossen sich ihm an, und als sie den kleinen Platz mit dem Uhrturm überquerten, nahm Celaena die Stelle in Augenschein, wo Cain gekniet hatte. Er hatte den Dreck aus den seltsamen Einkerbungen in der Steinplatte gekratzt. »Was könnte das sein?«, fragte sie die Prinzessin und deutete auf das nun deutlich erkennbare Zeichen. Und warum hatte Cain es gesäubert?
»Ein Wyrdzeichen«, erwiderte die Prinzessin und benutzte damit ein Wort auf Adarlan.
Celaenas Brauen hoben sich. Es war nur ein Dreieck in einem Kreis. »Könnt Ihr diese Zeichen lesen?«, fragte sie. Ein Wyrdzeichen … wie sonderbar!
»Nein«, sagte Nehemia hastig. »Sie gehören zu einer alten Religion, die vor langer Zeit untergegangen ist.«
»Welcher Religion?«, fragte Celaena. »Seht, da ist noch eins.« Sie deutete auf ein weiteres Zeichen in der Nähe, ein auf dem Kopf stehendes Dreieck, aus dessen Mitte sich eine Linie senkrecht nach oben zog.
»Ihr solltet die Finger davonlassen«, sagte Nehemia scharf. Celaena sah sie erstaunt an. »Diese Dinge sind aus gutem Grund in Vergessenheit geraten.«
»Worum geht’s?«, fragte Chaol und Celaena gab ihm das Gespräch in groben Zügen wieder. Als sie fertig war, kräuselte er die Lippen, sagte jedoch nichts.
Beim Weitergehen entdeckte Celaena noch ein Zeichen. Es hatte eine besonders ungewöhnliche Form: eine kleine Raute, die oben und unten in eine gerade Linie überging. Rechts und links wurden die Ecken der Raute von nach innen gekehrten Spitzen überschnitten. Die Zeichnung war von perfekter Symmetrie. Hatte der König die Zeichen beim Bau des Uhrturms in den Boden meißeln lassen oder waren sie älter?
Nehemia starrte auf ihre Stirn. »Habe ich etwas im Gesicht?« fragte Celaena auf Eyllwe.
»Nein«, erwiderte die Prinzessin abwesend, ohne den Blick von Celaenas Stirn zu wenden. Plötzlich blickte sie Celaena so grimmig an, dass diese unmerklich zurückwich. »Ihr wisst nichts über die Wyrdzeichen?«
Die Turmuhr schlug an. »Nein«, antwortete Celaena. »Ich weiß nichts darüber.«
»Ihr verschweigt etwas«, sagte die Prinzessin leise, aber ohne Vorwurf. »In Euch steckt weit mehr, als es den Anschein hat, Lillian.«
»Ich – nun, ich möchte doch hoffen, dass ich mehr bin als nur eine alberne Hofdame«, sagte sie so prahlerisch, wie sie konnte. In der Hoffnung, Nehemia würde aufhören, so ein seltsames Gesicht zu machen, und nicht länger auf ihre Stirn starren, setzte sie ein breites Grinsen auf. »Bringt Ihr mir bei, wie man korrektes Eyllwe spricht?«
»Wenn Ihr mich mehr über Eure lächerliche Sprache lehrt.« In den Augen der Prinzessin spiegelte sich immer noch Zurückhaltung. Was hatte Nehemia bloß gesehen?
»Abgemacht!«, sagte Celaena mit einem schwachen Lächeln. »Aber sagt ihm nichts davon. Captain Westfall lässt mich am Nachmittag allein. Eine Stunde vor dem Abendessen ist ideal.«
»Dann bin ich morgen um fünf bei Euch.« Die Prinzessin lächelte und ging weiter, ein Funkeln blitzte in ihren dunklen Augen auf. Celaena blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen.
24
C elaena lag auf dem Bett und starrte auf den kleinen See aus Mondlicht auf dem Boden. Er füllte die schmutzigen Fugen zwischen den Steinplatten und tauchte alles in bläuliches Silber. Fast hatte sie das Gefühl, in einem immerwährenden Augenblick festgefroren zu sein.
Die Nacht fand sie nicht gerade tröstlich, doch sie hatte auch keine Angst vor ihren dunklen Stunden. Es war einfach nur
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