Throne of Glass – Die Erwählte
schleifte hinter ihr her und hinterließ eine Spur auf der staubigen Treppe. Minute um Minute verging und sie suchte die Wände nach irgendwelchen Zeichen oder Markierungen ab, konnte aber keine entdecken. War dies nur ein vergessener Dienstbotenzugang? Sie war ein bisschen enttäuscht.
Bald tauchte das untere Ende der Treppe auf und sie fand sich vor drei gleichermaßen dunklen und imposanten Torbögen wieder. Wo war sie? Sie konnte sich schwer vorstellen, dass solch ein Ort in einem von so vielen Leuten bewohnten Schloss in Vergessenheit geraten konnte, aber …
Nicht ein einziger Fußabdruck war auf dem staubbedeckten Boden zu erkennen.
Da Celaena sich mit solchen Dingen bestens auskannte, hob sie die Kerze höher. Sie suchte nach irgendeiner Inschrift, die ihr den sicheren Tod verhieß, falls sie unter einem bestimmten Bogen hindurchging.
Prüfend betrachtete sie das Garn in ihrer Hand. Es war nur noch ein armseliger Rest übrig. Sie stellte die Kerze auf den Boden und verknüpfte ihn mit dem nächsten Knäuel. Vielleicht hätte sie drei mitnehmen sollen. Na ja, wenigstens hatte sie noch die Kreide.
Sie entschied sich für den mittleren Bogen, und sei es nur, weil er der nächste war. Dahinter führte eine Treppe noch tiefer nach unten – so tief, dass sie sich fragte, ob sie sich schon unter dem Schloss befand. Es wurde klamm und kalt und Celaenas Kerze knisterte in der Feuchtigkeit.
Sie kam an vielen Torbögen vorbei, entschied aber, geradeaus zu gehen und der mit jedem Schritt zunehmenden Feuchtigkeit zu folgen. An den Wänden rann Wasser herab und der Stein war glitschig von irgendeinem Pilz, der über die Jahrhunderte dort gewachsen war. Ihre roten Samtschuhe fühlten sich in der Nässe leicht unddünn an. Sie überlegte gerade, ob sie zurückgehen sollte, da hörte sie etwas.
Es war das Geräusch von langsam fließendem Wasser. Als sie jetzt weiterging, wurde es heller im Gang. Es war nicht der Schein einer Kerze, sondern vielmehr das gedämpfte, weiße Licht von draußen – Mondlicht.
Das Wollknäuel war aufgebraucht und sie legte das Ende des Fadens auf den Boden. Es gab keine Wegbiegungen mehr zu markieren. Sie wusste, was das hier war – vielmehr wagte sie kaum zu hoffen, dass es das war, wofür sie es hielt. Sie hastete weiter, rutschte zweimal aus und ihr Herz klopfte so laut, dass sie dachte, ihr Trommelfell würde zerreißen. Ein Torbogen tauchte auf und dahinter, dahinter …
Celaena starrte auf den Abwasserkanal, der geradewegs aus dem Schloss kam und an ihr vorbeifloss. Er roch gelinde gesagt nicht sehr gut.
Sie stand am Rand und betrachtete den offenen Torbogen, der zu einem breiten Wasserlauf führte, welcher wiederum zweifellos ins Meer oder in den Avery mündete. Es gab weder Wachen noch Schlösser, nur das Eisengitter, das knapp über dem Wasser schwebte, gerade hoch genug, um den Abfall hindurchzulassen.
An jedem Ufer waren vier kleine Boote vertäut und es gab noch ein paar andere Türen – teils aus Holz, teils aus Metall –, die zu diesem Ausgang führten. Wahrscheinlich war es ein Fluchtweg für den König, allerdings fragte Celaena sich beim halb verrotteten Zustand der Boote, ob er überhaupt davon wusste.
Sie trat an das Eisengitter und steckte die Hand hindurch. Die Nachtluft war kühl, aber nicht wirklich kalt. Am anderen Ufer des Flusses ragten Bäume auf: Sie musste sich auf der Rückseite des Schlosses befinden – der Seite, die dem Meer zugewandt war …
Ob draußen irgendwelche Wachen postiert waren? Sie fandeinen Stein auf dem Boden – ein Stück, das aus der Decke herausgebrochen war – und schleuderte ihn in das Wasser hinter dem Gitter. Nichts, keine scheppernde Rüstung, kein Murmeln oder Fluchen. Sie inspizierte die Außenseite. Da war ein Hebel, um das Gitter für die Boote zu heben. Celaena stellte die Kerze auf den Boden, nahm den Umhang ab und leerte ihre Taschen. Sie hielt sich mit beiden Händen fest und stellte erst einen Fuß auf das Gitter, dann den anderen.
Es wäre kinderleicht, das Gitter zu heben. Plötzlich stieg ein unbändiges Glücksgefühl in ihr hoch, sie fühlte sich wild und verwegen. Was machte sie überhaupt in diesem Schloss? Warum wollte sie – Adarlans Assassinin! – bei diesem absurden Wettkampf beweisen, dass sie die Beste war? Sie war die Beste!
Zweifellos waren jetzt alle betrunken. Sie konnte mit einem der besseren Boote in der Nacht verschwinden. Celaena begann zurückzuklettern. Sie brauchte ihren
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