Throne of Glass – Die Erwählte
die Zeit, in der sie schlief, die Zeit, in der sie auf die Jagd ging und tötete, die Zeit, in der die Sterne in glitzernder Schönheit am Himmel standen und sie sich wundervoll klein und unwichtig fühlte.
Celaena legte die Stirn in Falten. Es war erst Mitternacht, und obwohl morgen die nächste Prüfung bevorstand, konnte sie nicht schlafen. Zum Lesen waren ihre Augen zu müde, das Pianoforte wollte sie aus Furcht vor einer weiteren peinlichen Begegnung nicht spielen und es war auch nicht unbedingt ein Vergnügen, sich das Bankett vorzustellen. Weil sie zu faul war, sich umzuziehen, trug sie immer noch das smaragdgrüne Kleid.
Sie folgte mit ihren Blicken dem Mondlicht, das einen Teil des Gobelins an ihrer Schlafzimmerwand beleuchtete. Das gewirkte Wandbild war eigenartig, uralt und in keinem guten Zustand. Es zeigte Waldtiere zwischen Bäumen mit herabhängenden Ästen.Und direkt am Boden stehend war eine Frau abgebildet – der einzige Mensch auf dem Gobelin.
Sie war lebensgroß und auffallend schön. Obwohl ihr Haar von einem silbrigen Grau war, hatte sie ein junges Gesicht und ihr fließendes weißes Kleid schien im Mondlicht zu schwingen; es …
Celaena setzte sich im Bett auf. Bewegte sich der Gobelin? Sie sah zum Fenster. Es war fest geschlossen. Der Gobelin blähte sich kaum merklich nach vorn, aber nicht zur Seite.
War das möglich?
Ihre Haut kribbelte und sie zündete eine Kerze an, bevor sie sich der Wand näherte. Der Gobelin hörte auf, sich zu bewegen. Sie griff nach einer Ecke und hob sie hoch. Da war nur Stein. Aber …
Celaena schob die schweren Falten des Gewebes zur Seite und klemmte sie hinter einer Kommode fest. In der Wand entdeckte sie eine senkrechte Rille, die sich deutlich von ihrer Umgebung abhob. Und dann noch eine, keinen Meter davon entfernt. Beide Vertiefungen kamen aus dem Boden und wurden genau über Celaenas Kopf zusammengeführt zu einer –
Einer Tür!
Celaena drückte mit der Schulter gegen die Steinplatte. Sie gab ein wenig nach und ihr Herz machte einen Sprung. Sie stemmte sich fester dagegen, die Kerze flackerte in ihrer Hand. Die Tür ächzte und bewegte sich wieder ein Stückchen. Mit höchster Anstrengung drückte Celaena noch einmal dagegen und schließlich schwang die Tür auf.
Vor ihr lag ein dunkler Gang.
Ein Luftzug wehte in die schwarzen Tiefen hinunter und blies ihr Haare vors Gesicht. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Warum wehte der Luftzug dort hinein? Vor allem, wenn er den Gobelin nach außen gebläht hatte?
Celaena sah zum Bett, auf dem ein Haufen Bücher lag, die sieheute Nacht nicht mehr lesen würde. Sie machte einen Schritt in den Gang hinein.
Im Kerzenschein war zu sehen, dass er aus Stein gebaut und mit einer dicken Staubschicht bedeckt war. Sie ging wieder in ihr Zimmer zurück. Wenn sie den Gang auskundschaften wollte, benötigte sie ein paar Hilfsmittel. Ein Jammer, dass sie kein Schwert oder Messer hatte. Celaena stellte die Kerze ab. Sie würde auch eine Fackel brauchen – oder zumindest ein paar Reservekerzen. Sie war zwar an Dunkelheit gewöhnt, aber sie war nicht so dumm, sich darauf zu verlassen.
Zitternd vor Aufregung lief sie durch ihre Gemächer. Aus Philippas Nähkorb nahm sie sich zwei Wollknäuel und drei Stücke Kreide und dann holte sie eine ihrer behelfsmäßigen Stichwaffen aus einem Versteck. Sie verstaute drei zusätzliche Kerzen in den Taschen ihres Umhangs, den sie fest um sich hüllte.
Wieder stand sie vor dem dunklen Gang. Er war fürchterlich dunkel, aber es war, als würde er sie anlocken. Noch immer wehte ein Luftzug hinein.
Celaena schob einen Stuhl in die Türöffnung – es wäre gar nicht gut, wenn die Tür hinter ihr zufiel und sie für alle Zeiten da drin festsaß. Sie band das Ende eines Garns mit fünf Knoten an die Stuhllehne und hielt das Knäuel in der freien Hand. Wenn sie sich verirrte, würde sie damit zurückfinden. Sorgfältig hängte sie den Gobelin über die Öffnung, nur für den Fall, dass jemand in ihr Schlafzimmer kam.
Der Gang war kalt, aber trocken. Überall hingen Spinnweben und es gab keine Fenster, nur eine sehr lange, nach unten führende Treppe, deren Ende sie im Schein ihrer kleinen Kerze nicht sehen konnte. Während sie angespannt nach unten stieg, lauschte sie. Schon bei einem einzigen Geräusch würde sie kehrtmachen und in ihre Gemächer zurückrennen. Aber es war still – still und tot und völlig aus der Welt.
Celaena hielt die Kerze in die Höhe, ihr Umhang
Weitere Kostenlose Bücher