Throne of Glass – Die Erwählte
Umhang. Oh, wie dumm alle waren, wenn sie glaubten, sie könnten sie an die Kette legen!
Ihr Fuß rutschte auf einer glitschigen Sprosse aus und Celaena unterdrückte einen Schrei. Sie konnte gerade noch die Stäbe packen und fluchte, als ihr Knie ans Gitter knallte. Sie klammerte sich fest und schloss die Augen. Es war nur Wasser.
Sie atmete tief ein und aus, um sich zu beruhigen, und tastete mit den Füßen wieder nach Halt. Der Mond blendete fast, er schien so hell, dass die Sterne kaum sichtbar waren.
Sie wusste jetzt, dass sie mühelos entkommen konnte, doch wäre es dumm, es auch zu tun. Irgendwie würde der König sie aufspüren. Und Chaol würde in Ungnade fallen und seine Stellung verlieren. Und Prinzessin Nehemia wäre dieser idiotischen Gesellschaft ganz allein überlassen und …
Celaena richtete sich auf, reckte das Kinn. Sie würde nicht wie ein gewöhnlicher Verbrecher vor ihnen davonlaufen. Sie würde ihnen ins Gesicht sehen – dem König ins Gesicht sehen – und sich ihreFreiheit auf ehrenhafte Weise erkämpfen. Und warum sollte sie das kostenlose Essen und das Training nicht noch eine Weile ausnutzen? Ganz abgesehen davon, dass sie sich für eine Flucht mit Proviant eindecken musste und Wochen dafür brauchen konnte. Warum also die Eile?
Celaena kletterte zu der Seite zurück, von der sie gekommen war, und hob ihren Umhang auf. Sie würde gewinnen. Und falls sie nach ihrem Sieg je aus ihrer Knechtschaft ausbrechen wollte … dann kannte sie jetzt einen Weg.
Dennoch fiel es ihr schwer, den Ort zu verlassen. Beim Hinaufsteigen wickelte sie das Garn wieder auf. Ihre Beine brannten von den vielen Treppenstufen, aber sie war dankbar für die Stille. Ja, sie tat das Richtige.
Bald stand sie wieder auf dem Absatz mit den drei Torbögen. Welche Enttäuschungen würden sie hinter den beiden anderen erwarten? Sie hatte das Interesse verloren. Aber es kam wieder ein leichter Luftzug auf und wehte jetzt so stark in den Bogen rechts, dass Celaena einen Schritt darauf zu machte. Die Härchen an ihren Armen stellten sich auf, als sie beobachtete, wie die Flamme ihrer Kerze sich nach vorne neigte und auf eine Dunkelheit zeigte, die schwärzer aussah als alles andere. Unter dem Säuseln des Luftzugs war Geflüster zu hören, als spräche jemand in vergessenen Sprachen zu ihr. Sie schauderte und beschloss, die entgegengesetzte Richtung einzuschlagen und den linken Torbogen zu nehmen. An Samhain flüsternden Stimmen zu folgen würde nur Ärger bringen.
Trotz des Luftzugs war der Gang warm. Eine Wendeltreppe führte nach oben und mit jeder Stufe ließ sie das Geflüster hinter sich. Hinauf, immer weiter hinauf ging es, ihr schweres Atmen und das Rascheln ihrer Schritte waren die einzigen Geräusche. Oben angelangt, stieß sie nicht auf weitere Abzweigungen, sondern auf einen geraden, endlos wirkenden Gang. Sie ging ihn entlang, ihreFüße waren schon schwer. Zu ihrer Überraschung hörte sie nach einiger Zeit Musik.
Genau genommen war es die Geräuschkulisse einer großen Gesellschaft und weiter vorn sah sie jetzt einen goldenen Lichtschein, der durch eine Tür oder ein Fenster fallen musste.
Sie bog um die Ecke, stieg wenige Stufen nach oben und gelangte in einen deutlich schmaleren Gang. Die Decke war so niedrig, dass sie den Kopf einziehen musste, als sie auf das Licht zuging. Es drang nicht durch eine Tür oder ein Fenster, sondern durch ein Bronzegitter.
Celaena blinzelte in das Licht, als sie von hoch oben auf das Bankett im Großen Saal hinunterblickte.
Waren diese Gänge zum Spionieren da? Sie runzelte die Stirn. Über hundert Leute aßen dort, sangen, tanzten … Da war Chaol, er saß neben einem alten Mann, unterhielt sich und …
Lachte?
Seine Fröhlichkeit trieb ihr die Zornesröte ins Gesicht und sie stellte ihre Kerze ab. Sie spähte an die gegenüberliegende Wand des gewaltigen Saals; auch dort waren unterhalb der Decke Gitter eingelassen, doch sie konnte keine weiteren neugierigen Augen hinter der verschnörkelten Schmiedearbeit erkennen. Celaena ließ den Blick zu den Tanzenden wandern. Auch einige der Champions waren unter ihnen, fein gekleidet, aber nicht fein genug, um ihre mangelnden Tanzkünste wettzumachen. Nox, der nun beim Kampftraining ihr fester Partner war, tanzte auch, vielleicht ein wenig eleganter als die anderen – trotzdem taten ihr die Damen leid, die an ihn geraten waren. Halt, Moment …
Die anderen Champions durften teilnehmen und sie nicht? Sie griff ins Gitter
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