Throne of Glass – Die Erwählte
der tiefe Klang streitender Männerstimmen hallte von den Steinwänden wider.
Als sie um die Ecke bogen, schnalzte Ress mit der Zunge, aber sie achtete nicht darauf und eilte weiter. Sie kannte diesen Geruch nur zu gut. Der penetrante Gestank nach Blut und verwesendem Fleisch.
Aber den Anblick, der sich ihr bot, hatte sie nicht erwartet. »Halb aufgefressen« war eine beschönigende Beschreibung dessen, was von Xaviers spargeldürrem Körper übrig geblieben war.
Einer der Leibgardisten fluchte leise, und Ress trat zu ihr und legte ihr leicht die Hand auf den Rücken, damit sie weiterging. Keiner der hier versammelten Männer würdigte sie eines Blickes, während sie um den Tatort herumging, um eine bessere Sicht auf die Leiche zu bekommen.
Xaviers Brustkorb war aufgespalten und seine lebenswichtigen Organe herausgerissen. Falls man sie nicht beim Fund der Leiche weggebracht hatte, waren sie spurlos verschwunden. Sein langes Gesicht, von dem die Haut in Fetzen herabhing, war noch immer in einem stummen Schrei verzerrt.
Das war kein Unfall gewesen. Am Scheitelpunkt seines Schädels klaffte ein Loch und Celaena konnte sehen, dass auch das Gehirn entfernt worden war. Die Blutschlieren an der Wand sahen aus, als hätte jemand etwas geschrieben und dann wieder weggewischt. Aber selbst jetzt konnte man die Schrift noch teilweise erkennen und sie versuchte, nicht allzu offensichtlich darauf zu starren. Wyrdzeichen. Drei Wyrdzeichen auf einer gekrümmten Linie, die ursprünglich wahrscheinlich zu einem Kreis um den Körper gehört hatte.
»Heilige Götter«, murmelte eine ihrer Wachen, als sie das Gedränge am Tatort hinter sich ließen.
Kein Wunder, dass Chaol heute Morgen so mitgenommen ausgesehen hatte! Celaena richtete sich auf. Glaubte er wirklich, sie wäre das gewesen? Idiot. Wenn sie ihre Gegner einen nach dem anderen ausschalten wollte, täte sie das schnell und sauber: eine durchtrennte Kehle, ein Messer im Herz, ein vergiftetes Glas Wein. Das hier war einfach geschmacklos. Und seltsam. Die Wyrdzeichen machten mehr daraus als nur einen brutalen Mord. Womöglich etwas Rituelles.
Jemand kam ihnen entgegen. Es war Grave, der bösartige Assassine, der die Leiche von Weitem anstarrte. Seine Augen, dunkel und ruhig wie ein Waldsee, trafen auf ihre. Sie versuchte, seine verfaulten Zähne zu ignorieren, als sie mit dem Kinn auf Xaviers Überreste deutete. »Zu schade«, sagte sie betont.
Grave lachte in sich hinein und schob die krummen Finger in die Taschen seiner schmutzigen, abgetragenen Hose. Gab sein Ratsherr ihm keine anständigen Kleider? Offensichtlich nicht, er war ja auch dumm und böse genug, ihn als Champion auszuwählen.
»Wirklich ein Jammer«, sagte Grave und zuckte mit den Achseln, als sie an ihm vorbeiging.
Sie nickte steif und hielt wider Willen den Mund. Jetzt waren nur noch sechzehn von ihnen übrig. Sechzehn Champions, und vier von ihnen würden in Zweikämpfen gegeneinander antreten. Es wurde langsam eng. Eigentlich sollte sie dem grimmigen Gott danken, der beschlossen hatte, Xaviers Leben zu beenden. Aber aus irgendeinem Grund konnte sie das nicht.
~
Dorian schwang sein Schwert und ächzte, als Chaol den Schlag mit Leichtigkeit parierte. Seine Muskeln schmerzten, weil er wochenlangnicht geübt hatte, und er atmete schwer, als er wieder und wieder einen Ausfallschritt machte.
»Das hast du nun von deiner Faulheit.« Chaol lachte in sich hinein und machte einen Schritt zur Seite, sodass Dorian ins Leere stolperte. Er konnte sich an eine Zeit erinnern, als beide gleich gut gewesen waren – das war allerdings schon lange her. Dorian hatte zwar nach wie vor Spaß am Fechten, zog es aber vor zu lesen.
»Ich hatte Sitzungen und musste wichtige Schriftstücke lesen«, sagte Dorian keuchend. Er holte aus.
Chaol fälschte ab, machte eine Finte und stieß dann so hart vor, dass Dorian ein paar Schritte zurückweichen musste. Seine Laune besserte sich. »Sitzungen, die du zum Vorwand genommen hast, um dich mit Herzog Perrington anzulegen.« Dorian holte in weitem Bogen aus und Chaol ging in eine Verteidigungshaltung. »Oder vielleicht bist du zu sehr damit beschäftigt, mitten in der Nacht Sardothiens Gemächer aufzusuchen.« Schweiß tropfte Chaol von der Stirn. »Seit wann geht das schon so?«
Dorian knurrte, als Chaol wieder in die Offensive ging, und wich Schritt für Schritt zurück. Seine Oberschenkel schmerzten. »Es ist nicht, wie du denkst«, stieß er hervor. »Ich verbringe nicht
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