Thunderhead - Schlucht des Verderbens
umsonst, wenn wir uns jetzt in letzter Minute um die Früchte unserer Arbeit bringen lassen.«
Sloane gab noch immer keine Antwort. Black spürte, dass sie bewegungslos neben ihm stand. »Überall das Glitzern von Gold...«, murmelte er. Nach einer Weile fragte er sich, weshalb Sloane sich nicht bewegte. Mit einem leisen Fluch stand er auf.
Sloane starrte mit halb geöffnetem Mund in den Himmel. Ihr Gesicht war so blass geworden, dass ihre bernsteinfarbenen Augen plötzlich einen dunkleren, an Mahagoni erinnernden Farbton angenommen zu haben schienen. Verblüfft über Sloanes plötzliche Verwandlung, brauchte Black eine ganze Weile, bis er sich umdrehte und ihrem Blick folgte.
Am Himmel über dem Kaiparowits-Plateau stand eine riesige Gewitterfront, die Blacks Auffassung nach mehr einem Atompilz glich als einem Sturm. Ihr unterer, direkt über der Hochfläche liegender Teil war mindestens fünfzig Kilometer breit und ballte sich in einem riesigen Wolkenschirm gute zwölf Kilometer hinauf bis an die Grenze von Troposphäre und Stratosphäre. Dieses brodelnde, ambossförmige Gebilde wies nach Blacks Schätzung einen Durchmesser von mindestens achtzig Kilometern auf.
Aus der Unterseite der Gewitterfront ging heftiger Regen nieder, der wie ein dichter, stahlfarbener Wasservorhang die Sicht auf den hinteren Teil des Kaiparowits-Plateaus versperrte. Innerhalb der Gewitterfront zuckten weitverästelte Blitze umher, wobei der Donner wegen der großen Entfernung kaum zu hören war. Beängstigt und fasziniert zugleich sah Black zu, wie die düster drängenden Wolken sich mit rascher Geschwindigkeit ausbreiteten und ihre schmutziggrauen Fangarme immer weiter in den blauen Himmel hineinschoben.
Während Black von dem gewaltigen Anblick wie gelähmt war, ging Sloane mit traumwandlerisch langsamen Schritten hinüber zu dem verkrüppelten Baum, in dessen Geäst Holroyd den Empfänger für den Wetterbericht befestigt hatte. Nachdem sie das Gerät eingeschaltet hatte, war aus dem Lautsprecher zunächst ein lautes Rauschen zu vernehmen. Dann hatte der Empfänger die richtige Wellenlänge gefunden, und die monotone, nasale Stimme des Meteorologen in Page, Arizona, las eine lange Litanei von Temperatur- und Luftdruckwerten vor. Schließlich hörte Black klar und deutlich die Vorhersage für den Tag: »Blauer Himmel und sommerlich warme Temperaturen. Die Niederschlagswahrscheinlichkeit liegt bei weniger als fünf Prozent.«
Blacks Augen wanderten von der Gewitterfront hinauf in den Himmel direkt darüber, der strahlend blau und wolkenlos war. Dann senkte er den Blick in das stille, friedliche Tal von Quivira, wo das Lager im hellen Schein der Morgensonne lag. Der Gegensatz war so extrem, dass er ihn einen Augenblick lang gar nicht richtig begreifen konnte.
Er sah hinüber zu Sloane. Sie hatte die Zähne halb entblößt, was ihrem Gesicht einen wilden, fast raubtierhaften Ausdruck verlieh. Die ganze Frau kam ihm vor, als sei sie von einer soeben erfahrenen Offenbarung durchdrungen. Black verschlug es fast den Atem, als sie mit versteinerter Miene den Wetterberichtempfänger ausschaltete.
»Was sollen wir...«, begann Black, aber der Ausdruck auf Sloanes Gesicht ließ ihn verstummen.
»Du hast doch gehört, was Nora gesagt hat. Wir bauen den Empfänger ab und steigen hinunter ins Lager.« Sloanes Stimme klang energisch, geschäftsmäßig und neutral zugleich. Die junge Frau kletterte in den verkrüppelten Wacholderbaum und band rasch Empfänger und Antenne los. Nachdem sie beides in einem Netz verpackt hatte, blickte sie Black herausfordernd an. »Na los, worauf wartest du?«, fragte sie.
Ohne ein weiteres Wort nahm sie das Netz über ihre Schulter und ging zur Strickleiter. Einen Moment später war sie aus Blacks Blickfeld verschwunden.
Verwirrt legte Black seinen Klettergurt wieder an und machte sich ebenfalls an den Abstieg.
Zehn Minuten später kam er am unteren Ende der Strickleiter an, aber er war so sehr in Gedanken versunken, dass er es erst bemerkte, als sein linker Fuß den feuchten Sand berührte. Unentschlossen blieb er stehen und blickte hinauf zum Himmel, der von einem Rand des Canons zum anderen strahlend blau war. Von der Sintflut, die in vierzig Kilometern Entfernung über der Wasserscheide des Kaiparowits-Plateaus niederging, war hier nicht das Geringste zu ahnen. Black streifte den Klettergurt ab und ging mit steifen, hölzern wirkenden Schritten auf das Lager zu. Obwohl sie das schwere Netz auf ihrem Rücken
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