Thunderhead - Schlucht des Verderbens
es eine Weile zu beobachten. Nichts rührte sich und auch sonst konnte Nora weder einen Lichtschein noch andere Anzeichen für die Anwesenheit von Eindringlingen entdecken. Entweder waren sie nicht mehr hier oder Teresa hatte sich getäuscht, als sie die Lichter gesehen hatte.
Langsam fuhr sie durch das innere Tor und parkte den Pick-up hinter dem Haus. Dort nahm sie eine Taschenlampe aus dem Handschuh Fach und stieg leise aus dem Wagen. Die Haustür hing schief in der einen ihr noch verbliebenen Angel; das Vorhängeschloss, das Nora nach dem Tod ihrer Mutter dort angebracht hatte, war längst einem Bolzenschneider zum Opfer gefallen. Ein Windstoß fuhr durch den Hof, wirbelte eine kleine Staubwolke auf und rüttelte leise an der Tür.
Nora schaltete die Taschenlampe ein und ging auf das Haus zu. Als sie die Tür aufdrückte, bewegte sich diese nur widerwillig. Erst als Nora ihr einen genervten Tritt verpasste, fiel sie mit einem lauten Krach zu Boden. Nachdem das Geräusch in dem stillen Haus verhallt war, trat Nora ein.
Drinnen herrschte wegen der vernagelten Fenster fast völlige Dunkelheit, aber Nora wusste auch so, dass diese Bruchbude nur noch wenig mit dem Haus gemein hatte, in dem sie groß geworden war. Auf dem Boden lagen Scherben und leere Bierflaschen herum, und irgendein Rowdy hatte krakelige Graffiti an die Wände gesprüht. Der Teppich war zerschnitten, die Sofakissen aufgeschlitzt, so daß die Federn überall im Raum herumflogen, und jemand hatte sogar ein paar Bretter von den Fenstern gerissen. In den Wänden bemerkte Nora unzählige Einschusslöcher und die Spuren von wütenden Fußtritten.
Eigentlich hatte sich der Zustand des Hauses seit ihrem letzten Besuch nicht wesentlich verschlimmert. Bis auf die aufgeschlitzten Sofakissen und ein paar weitere Löcher in den Wänden war alles wie gehabt. Noras Anwalt hatte sie bereits wiederholt darauf aufmerksam gemacht, dass das Haus in seinem jetzigen Zustand nur eine Belastung für sie sei. Die Baubehörde würde es, sollte sie darauf aufmerksam werden, ohne Umschweife für unbewohnbar erklären und sie zwingen, es abzureißen. Das Problem dabei war, dass Nora nicht genug Geld für den Abbruch hatte - außer natürlich, wenn sie die Ranch verkaufte.
Sie ging vom Wohnzimmer in die Küche, wo sie den Lichtkegel ihrer Taschenlampe über den alten Kühlschrank gleiten ließ. Er lag noch immer umgeworfen in der Ecke, wo sie ihn bei einem ihrer letzten Besuche entdeckt hatte. Neu war, dass jemand die Gemüseschubladen herausgerissen und dann achtlos irgendwo hingeworfen hatte. Auch war das Linoleum am Boden, das die Feuchtigkeit ohnehin schon aufgeworfen hatte, in langen Fetzen abgerissen worden. An einigen Stellen hatte jemand sogar ein paar Bodenbretter entfernt und den Hohlraum darunter freigelegt. Vandalismus muss ein verdammt harter Job sein, dachte Nora und ließ ihren Blick weiter durch den Raum schweifen. Irgendwie hatte sie auf einmal das seltsame Gefühl, dass etwas anders war als sonst.
Sie verließ die Küche und stieg langsam die Treppe hinauf, auf deren Stufen dicke Knäuel von herausgerissener Matratzenfüllung lagen. Dabei versuchte sie, etwas Ordnung in ihre Gedanken zu bringen. Aufgeschlitzte Sofakissen, in die Wand geschlagene Löcher, abgerissenes Linoleum und fehlende Bodenbretter - irgendwie kamen ihr diese neuerlichen Zerstörungen nicht ganz so willkürlich vor wie die, mit denen sie es bisher zu tun gehabt hatte. Es sah fast so aus, als habe jemand gezielt nach etwas gesucht. Auf halbem Weg die dunkle Treppe hinauf blieb sie plötzlich stehen.
Hatte sie nicht das Knirschen von Schritten auf zerbrochenem Glas gehört?
Nora lauschte ins Dämmerdunkel, aber bis auf das leise Wehen des Windes hörte sie kein Geräusch. Wie sollte sie auch, schließlich war draußen kein Auto vorgefahren. Mit einem leisen Seufzer setzte sie sich wieder die Treppe hinauf in Bewegung.
Oben, wo keines der Bretter von den Fenstern fehlte, war es noch dunkler als im Erdgeschoss. Vom Treppenabsatz aus wandte sie sich nach rechts und leuchtete mit der Taschenlampe in ihr ehemaliges Zimmer. Wie immer, wenn sie die rosa Tapeten sah, die jetzt voller Stockflecken waren und in Fetzen von der Wand hingen, ging ihr ein wehmütiger Stich durchs Herz. In der Matratze ihres alten Bettes hatte sich eine ganze Familie von Packratten eingenistet, und der Notenständer, vor dem sie so oft Oboe gespielt hatte, lag verbogen und rostig auf den gesprungenen Dielenbrettern.
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