Thunderhead - Schlucht des Verderbens
wollen. »Könnte es nicht sein, dass das Funkgerät einfach ausgefallen ist?«
»Das glaube ich nicht, denn es gibt mehrere Ersatzgeräte. Außerdem ist dieser Holroyd, wenn man Ihrer Schwester glauben darf, ein wahrer Meister seines Fachs. Der würde noch aus ein paar alten Konservendosen und etwas Bindfaden einen Empfänger zusammenbasteln.«
Der alte Mann stand auf und ging zu einem kleinen Fenster zwischen den Bücherregalen hinüber. Dort blickte er mit den Händen in den Hosentaschen hinaus auf die Berge. Eine tiefe Stille, die nur vom gleichmäßigen Ticken einer alten Standuhr unterbrochen wurde, machte sich in der Bibliothek breit.
Schließlich hielt es Skip nicht länger aus. »Dr. Goddard!«, platzte er heraus. »Sie müssen etwas tun. Nora ist die Einzige, die mir von meiner Familie geblieben ist.«
Einen Augenblick kam es Skip so vor, als habe Goddard ihm nicht zugehört. Dann aber drehte er sich um und sah Skip mit einem Blick voll eiserner Entschlossenheit an. »Und die Einzige, die mir von meiner Familie geblieben ist, ist bei ihr«, erwiderte er leise, während er hinüber zu dem Telefon schritt, das auf dem Schreibtisch in der Nähe stand.
44
I n dieser Nacht trommelte ein leichter, aber beständiger Regen auf die Zelte der Quivira-Expedition, doch als der Morgen anbrach, war der Himmel wieder wolkenlos blau. Als Nora, die abwechselnd mit Smithback Wache gehalten und nur wenig geschlafen hatte, aus ihrem Zelt kroch, war sie froh, dass es wieder hell wurde. Die kühle Luft war vom Gesang der Vögel erfüllt, und an den Blättern der Bäume hingen dicke, im Licht der aufgehenden Sonne glitzernde Tropfen.
Noras Stiefel versanken im nassen aufgeweichten Sand, und sie konnte sehen, dass der Fluss etwas mehr Wasser führte, was aber nicht weiter bedenklich war. Den Guss in der Nacht hatte die Erde noch aufnehmen können, aber jetzt war sie mit Wasser gesättigt, so dass weiterer Regen unweigerlich Hochwasser zur Folge haben würde. Auch aus diesem Grund war es notwendig, so rasch wie möglich aufzubrechen. Nora wollte nicht in diesem Tal festsitzen.
Sie blickte hinüber zu den Gepäcksäcken, die für den Rücktransport durch den Slot-Canon nebeneinander aufgereiht dalagen. Sie hatten vor, nur das Notwendigste an Ausrüstung wie Zelte, Proviant, wichtige Geräte und Aufzeichnungen mitzunehmen. Den Rest wollten sie in einem leeren Haus von Quivira verstecken.
Bonarotti wurde heute seinem Ruf als Spätaufsteher nicht gerecht und hantierte bereits mit der Espresso-Kanne herum, die durch ein scharfes Zischen signalisierte, dass der Kaffee soeben fertig geworden war. Der Italiener sah hinüber zu Nora, die sich gerade den Schlaf aus den Augen rieb. »Wollen Sie Kaffee?«, fragte er und gab ihr, nachdem sie stumm genickt hatte, eine dampfende Tasse in die Hand. »Ist wirklich Gold in dem Kiva?«, fragte Bonarotti dann bedächtig.
Nora ließ sich auf einem Baumstamm nieder und nahm einen Schluck von ihrem Espresso. Dann schüttelte sie den Kopf. »Nein, bestimmt nicht. Die Anasazi hatten kein Gold.«
»Weshalb sind Sie sich dessen so sicher?«
Nora seufzte. »Sie können mir das ruhig glauben, Luigi. In eineinhalb Jahrhunderten archäologischer Ausgrabungen hat man in den Ruinen der Anasazi nicht das kleinste Stäubchen Gold gefunden.«
»Aber was ist mit dem, was Dr. Black gesagt hat?«
Nora schüttelte abermals den Kopf. Wenn ich die Expedition heute nicht aus dem Tal bekomme, schaffe ich es nie mehr, dachte sie. »Black hat Unrecht. Mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen.«
Der Koch goss Nora Kaffee nach und trottete dann mit enttäuschter Miene zurück zum Feuer. Während Nora langsam ihre Tasse leerte, kamen auch die anderen aus ihren Zelten. Als sie sich einer nach dem anderen ans Feuer setzten, wurde Nora klar, dass sich die Spannung des vergangenen Tages nicht aufgelöst hatte. Im Gegenteil, es kam ihr so vor, als hätte sie sich über Nacht noch verstärkt. Black beugte sich mit düsterem Gesicht über seinen Kaffee, während Smithback, nachdem er Nora müde zugelächelt hatte, sich auf einen Felsen zurückzog, um schweigend etwas in sein Notizbuch zu schreiben. Auch Aragon machte einen abwesenden, in sich gekehrten Eindruck, und Sloane, die als Letzte aufstand, vermied den Blickkontakt mit Nora völlig. Sie alle sahen so aus, als hätten sie kaum ein Auge zugetan.
Nora beschloss, möglichst rasch den Aufbruch in die Wege zu leiten und niemandem Zeit zum Grübeln zu lassen. Nachdem sie
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