Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Thunderhead - Schlucht des Verderbens

Thunderhead - Schlucht des Verderbens

Titel: Thunderhead - Schlucht des Verderbens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lincoln Douglas & Child Preston
Vom Netzwerk:
Präsentierteller vorkam. Alles andere als ideal für das, was Nora vorhatte.
    Sie atmete tief durch streckte ihre weiß behandschuhten Finger und legte die Karten in ihren knisternden Plastikhüllen übereinander auf den Tisch. Das U.S. Geological Survey gab diese überaus exakten Karten heraus; sie zeigten ein sehr abgelegenes Gebiet im Südteil des Staates Utah. Das Land, das im Süden und Westen vom Lake Powell und im Osten vom Bryce Canon begrenzt wurde, befand sich, fast ausschließlich in Bundesbesitz und bestand praktisch aus nichts anderem als Wildnis, mit der niemand etwas anfangen konnte. Nora wusste ziemlich genau, wie dieses Land in der Realität aussah: eine riesige Hochebene aus glatt geschliffenem Sandstein, die unzählige, tief eingeschnittene Canons zu einem Labyrinth aus steilwandigen Tälern und kahlen Plateaus machten.
    In diesem gottverlassenen Dreieck war vor sechzehn Jahren Noras Vater verschwunden.
    Sie erinnerte sich mit schmerzlicher Intensität daran, wie sie damals als Zwölfjährige flehentlich darum gebeten hatte, sie doch auf die Suchexpedition mitzunehmen, was ihr ihre Mutter jedoch brüsk und ungerührt verboten hatte. Stattdessen hatte sie zwei qualvolle Wochen verbringen müssen, in denen sie über Landkarten gebrütet und immer wieder die Radionachrichten auf Neuigkeiten über ihren Vater hin abgehört hatte. Die Karten waren denen ganz ähnlich gewesen, die sie gerade vor sich hatte. Von ihrem Vater hatte man nicht die geringste Spur finden können. Nach einiger Zeit hatte ihre Mutter ihn für tot erklären lassen, und Nora hatte sich seither nie wieder eine Landkarte dieser Gegend angeschaut.
    Nora holte ein weiteres Mal tief Luft und drehte sich so, dass sich ihr Rücken zwischen den Karten und Owen Smalls befand. Jetzt kam der schwierigste Teil ihres Unterfangens. Sie griff mit zwei Fingern vorsichtig in ihre Jackentasche und holte den Brief heraus, den sie in den albtraumhaften Abendstunden des vergangenen Tages gefunden und seitdem ständig bei sich getragen hatte.
    Abermals las Nora die mit Bleistift geschriebenen Zeilen auf dem prächtig gewordenen Umschlag, wie sie es schon vor einigen Stunden im Scheinwerferlicht ihres Pick-up getan hatte. Der Brief war an ihre Mutter adressiert, die vor sechs Monaten gestorben war und seit fünf Jahren nicht mehr auf der alten Ranch gewohnt hatte. Langsam, fast widerwillig, ließ sie die Blicke auf den Absender wandern, PADRAIC KELLY stand da in der großzügigen, geschwungenen Handschrift, die ihr so vertraut war. Irgendwo westlich vom Kaiparowits-Plateau.
    Es war ein Brief von ihrem Vater an ihre Mutter, der vor sechzehn Jahren geschrieben und mit einer Briefmarke versehen worden war.
    Langsam und vorsichtig zog Nora im Schein der Neonröhren die drei vergilbten Blätter aus dem Umschlag. Sie strich sie neben den Karten glatt und achtete dabei darauf, dass ihr Körper sie vor Smalls' Blicken verbarg. Noch einmal besah sie sich den roten Aufkleber N ACHPORTO und dann das Merkwürdigste an dem ganzen Brief: den Poststempel, aus dem hervorging, dass das Schreiben erst vor fünf Wochen in Escalante, Utah, abgeschickt worden war.
    Mit den Fingern strich sie über das fleckige Papier mit der verblichenen Zehn-Cent-Briefmarke. Der Umschlag wirkte, als wäre er nass gewesen und später wieder getrocknet worden. Vielleicht hatte jemand ihn im Wasser des Lake Powell gefunden, in den ihn eine der Sturzfluten geschwemmt hatte, für welche die Canons in dieser Gegend gefürchtet waren.
    Bestimmt zum hundertsten Mal, seit sie den Brief gefunden hatte, musste Nora einen Anflug von Hoffnung unterdrücken. Schließlich war es vollkommen ausgeschlossen, dass ihr Vater noch am Leben war. Irgendein anderer Mensch musste den Brief gefunden und ihn in einen Briefkasten gesteckt haben.
    Aber wer? Und weshalb?
    Und noch eine weitere Frage drängte sich ihr auf. War es dieser Brief gewesen, wonach diese entsetzlichen Kreaturen gestern Abend in dem verlassenen Ranchhaus gesucht hatten?
    Nora schluckte und spürte, dass ihr Hals trocken war und schmerzte. Es musste so sein, es war die einzige vernünftige Erklärung.
    Ein Knarzen drang durch den stillen Raum, als Owen Sniails sich in seinem Stuhl bewegte. Nora zuckte zusammen und versteckte den Umschlag unter einer der Karten. Dann wandte sie sich dem Brief zu und begann zu lesen.
     
    Donnerstag, den 2. August (glaube ich zumindest) 1983
     
    Liebste Liz,
    obwohl ich hier hundert Meilen vom nächsten Postamt

Weitere Kostenlose Bücher