Thurner, M: Elfenzeit 18: Rache der Verbannten
allem, da sie nicht wusste, welcher Weg eigentlich der richtige war. Würde Talamh in der Menschenwelt bleiben wollen oder die Gegenwart der Elfen vorziehen?
Nadja nahm sich zurück, bevor sie sich in sinnlosen Spekulationen verlor. Die Zukunft der Sidhe Crain und der Elfenwelt war mehr als ungewiss.
Ich bin jetzt müde
, dachte Talamh.
Ich möchte schlafen. Du kannst dich ja in der Zwischenzeit mit Papi unterhalten
.
Das wird nicht gehen
. Nadja zögerte. Was wusste ihr Sohn? Wie gut konnte er die Situation einschätzen?
Er befindet sich in Alebins Gefangenschaft
…
Im Keller, ich weiß. Aber ich bin mir sicher, du findest einen Weg hinab. Du hattest doch einen Plan
…
Ein Schlag traf sie vor der Brust, ließ Nadja erschrocken nach Atem ringen – bis sie registrierte,
was
sie da eigentlich spürte: Talamh hatte ihr eine gute Portion an Entschlossenheit, Zuversicht und Ruhe geschenkt. So, wie er Blumen zum Erblühen brachte, konnte er auch Menschen mit einem Teil seiner überbordenden Lebenskraft bedenken.
Hab keine Angst vor dem Drachen
, dachte er, bevor er die Augen schloss.
Er gibt vor, mehr zu sein, als er in Wirklichkeit ist
…
Talamh klammerte sich an einem ihrer Ohrläppchen fest und fiel in einen tiefen, festen Schlaf.
Also mischte sich der kleine Schlingel nun schon in ihr Leben ein! Na, das konnte was werden in späteren Jahren. Vorerst jedoch war Nadja ihm dankbar dafür, dass er ihren vagen Plan erkannt und für gut befunden hatte.
Doolin und sie betraten den nach Norden ausgerichteten Wehrgang des Rosen-Palastes. Die steinerne Brustwehr war am Vortag noch nicht da gewesen. Wenn Nadja die aufgestapelten Materialien und die Anwesenheit herumlungernder Zwerge richtig deutete, wurde an einem weiteren Wehrgang gearbeitet, der über ihren Köpfen angelegt werden sollte.
Was bezweckte Alebin? Glaubte er im Ernst, seine Gegner mithilfe der steinernen Anlagen aufhalten zu können?
»Gibt es ungewöhnliche Wesen in Lyonesse?«, fragte sie. Sie hielt ihre Nase in den Wind und roch die kalte, nach Schnee duftende Luft.
»Du meinst: Gibt es
außer mir
ungewöhnliche Wesen in Lyonesse?« Ihr Begleiter ließ den Buckel von der linken zur rechten Seite rollen und grinste schief.
»Du wärst eigentlich ein netter Bursche, würdest du nicht unter Alebins Fuchtel stehen. Und außer ein paar überflüssigen Pickeln hast du nichts, was mich an ein Ungeheuer erinnert.«
»Du nennst meinen Buckel einen Pickel? Dann wäre ich an deiner Stelle nicht in meiner Nähe, wenn ich ihn mir ausdrücke.«
Nadja unterdrückte ein Grinsen. Sie mochte den Kerl wirklich, und sie musste sich immer wieder sagen, dass er für die falsche Seite arbeitete. »Bekomme ich nun eine vernünftige Antwort von dir?«
»Erst wenn du mir sagst, warum du das wissen möchtest.«
Nadja tat so, als würde sie zögern. »Ich schlafe schlecht, und in den Nächten höre ich unheimliche Geräusche. Ich glaube, riesige Vögel mit Fledermausgesichtern durch die Fenstergläser zu erkennen …«
»An der Westseite des Palastes gibt es das Nest einer Harpyie namens Unusteira. Unusteira ist Podarges Enkelin, die wiederum die Göttin des Westwindes war. Das Nest wurde vor zwei- bis dreihundert Jahren angelegt, und die Jungen sind vor wenigen Monaten geschlüpft. Wahrscheinlich hast du Unusteiras Brut beim ersten Jagdausflug gesehen. Keine Angst; sie fressen nichts, was größer als ein Kalb ist.«
»Harpyien also.« Nadja wunderte schon lange nichts mehr. »Wie sieht es mit Greifen aus, mit Zombies, Vampiren, Ghouls, mit überdimensionierten Nacktschnecken oder mit Feuer speienden Drachen?«
Obwohl sie vorgab, ihre Blicke in die Ferne schweifen zu lassen, achtete sie ganz genau auf Doolins Reaktionen. Als sie die Drachen erwähnte, zuckte der Buckel leicht und wanderte in eine andere, etwas tiefer liegende Position.
»Es gibt eine Kolonie domestizierter Glücksdrachen in den Westhügeln von Lyonesse«, antwortete Doolin und gab seiner Stimme einen unverfänglichen Unterton. »Sie werden von den dortigen Weinbauern als Pflugtiere zur Feldarbeit herangezogen und erhalten im Ausgleich freie Verköstigung.«
»
Als Pflugtiere?
«
»Sie düngen, sie ziehen mit ihren Schwänzen Furchen in die Erde, und sie wühlen mit den feinfühligen Krallen Steine aus dem Boden. Außerdem sind sie sehr angenehme Gesprächspartner am Abendkamin.«
»Ich verstehe. Also muss ich mir wegen der Drachen keine Sorgen machen.« Nadja fasste Doolin am Arm und führte
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