Thurner, M: Elfenzeit 18: Rache der Verbannten
ihn ein Stück weiter entlang des steinernen Wehrganges. »Als kleines Kind wurde ich von Albträumen geplagt, nachdem mir mein Vater die Geschichte vom Kampf Siegfrieds gegen Fafnir in der Nibelungensage erzählte. Ich hasse diese Viecher, brr …«
»Dann halte dich vom Zwergentunnel fern«, murmelte Doolin. Gleich darauf schlug er sich mit beiden Händen erschrocken auf den Mund.
»Der Zwergentunnel? Was meinst du damit?«
»Ich habe nichts gesagt. Kein Wort. Niemals.« Der Bucklige schob Nadja grob von sich und atmete tief durch. »Talamh wird sicherlich bald aufwachen. Es wird Zeit, dass wir zu ihm zurückkehren.«
Er zog sie mit sich. Nadjas Versuche, ihm weitere Informationen aus der geschwollenen Nase zu ziehen, scheiterten. Doolin wirkte bedrückt; er hatte etwas verraten, was Nadja unter keinen Umständen hätte erfahren sollen.
Ein weiterer Tag in Gefangenschaft verging langsam und zäh. Alebin ließ sich nicht mehr blicken. Auf Nachfrage erfuhr Nadja, dass der Elf mit »dringenden Angelegenheiten beschäftigt« sei.
Kein Wunder
, dachte sie.
Die Luft knistert vor Spannung. Die Einwohner von Lyonesse wissen nach wie vor nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollen. Sie verachten Cunomorus wegen seiner Schwäche, und sie hassen Alebin samt Equipage für das, was er ihnen angetan hat. Zudem fürchten sie um die Selbstständigkeit ihres kleinen Reiches. Die stetigen Angriffe des Getreuen, dessen lautes Pochen man weniger mit den Ohren als mit dem Herzen hört, machen sie nervös
.
Talamh verhielt sich so, wie man es von einem mehrere Monate alten Baby erwarten durfte. Er gluckste fröhlich vor sich hin, wenn er an Nadjas Brust nuckeln durfte; er gab sich unleidlich, wenn ihn Blähungen quälten. Seine Windeln füllte er mit Hingabe und beobachtete interessiert, was rings um ihn vorging. Doolin und Margarethe ließ er leidlich gerne in seine Nähe; wenn sich Koinosthea blicken ließ, begann er augenblicklich wie am Spieß zu schreien. Dann verwelkten die Blumen in seiner Nähe in Sekundenschnelle, und eine bittergelbe Wolke hängte sich an der Decke des Kinderzimmers fest.
Ungeduldig sehnte Nadja den Einbruch der Nacht herbei. Sie wollte ihre Pläne so rasch wie möglich in die Tat umsetzen. In der Blauen Stunde. Dann, wenn die eine Schicht der wachhabenden Elfen das Ende ihrer Arbeitszeit herbeisehnte, während ihre Ablösung noch nicht ganz bei der Sache war.
Sie bettete Talamh zur Ruhe, begab sich auf einen – scheinbar zufällig gewählten – Wehrgang hinaus und schöpfte frische Luft. Doolin war vor einer Weile verschwunden. Ein Geschöpf aus grobem Stein hatte seine Rolle als ihr Wächter übernommen. Er setzte sich passgenau in die Lücke einer Zinne und beobachtete sie gelangweilt. Das Steinwesen hatte noch kein einziges Wort aus dem schiefen Maul hervorgebracht. Sein Mundwerk schien genauso langsam zu mahlen, wie sein Gehirn arbeitete. Nadja konnte es nur recht sein …
Sie atmete tief durch. Mitunter wurde selbst ihr die alles übertünchende Ausstrahlung ihres Sohnes zu viel. Er strahlte solche Mengen an Energie ab, dass die Atmosphäre rings um ihn zu glühen begann.
Die Strahlen der schwachen, untergehenden Sonne kitzelten Nadjas Nase. Die Dächer der Burg schienen Feuer zu fangen, die Schatten wurden lang und länger. Nadja unterdrückte jegliche Regung, als Cunomorus links von ihr auftauchte. Wie sie gehofft hatte, nutzte er die ruhigen Abendstunden auch an diesem Tag für einen Spaziergang entlang der Wehr seines Palastes.
Seines
ehemaligen
Palastes.
Nadja durfte sich nichts anmerken lassen. Das Zusammentreffen mit dem Elfen musste zufällig wirken; nichts durfte darauf hindeuten, dass sie es bewusst herbeigeführt hatte.
Nadja verstand sich auf vielerlei Methoden, das Interesse anderer zu wecken. Vorsichtig angedeutete Gesten, das Drehen des Kopfes, elegant nach hinten geschleudertes Haar, ein Augenverdrehen, ein Lächeln – es gab tausenderlei Möglichkeiten, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Wenn sie ihrer Intuition vertraute und Cunomorus richtig einschätzte, würde er insbesondere dann auf sie reagieren, wenn sie ihn … ignorierte.
Sie drehte sich beiseite und blickte hinab aufs Land. Sobald er sie sanft an der Schulter berührte, tat Nadja, als müsse sie zusammenzucken. »Wer …«
»Hab keine Angst, Menschin«, sagte Cunomorus mit heiserer Stimme.
Nadja gab sich verächtlich. »Warum sollte ich vor einem Verräter Angst haben?«
Der König runzelte die Stirn,
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