Thurner, M: Elfenzeit 18: Rache der Verbannten
bereits auf dem Boden lag – und wie alle anderen Zwerge ins Wasser starrte.
Talamh!
, dachte sie verzweifelt.
Lass mich jetzt nicht im Stich!
Ihr Sohn, ihr Liebstes, ihr Ein und Alles musste ihr Kraft geben. Kraft, die sie dringend benötigte, um diesem erschreckenden Akt körperlicher und geistiger Umwandlung zu entgehen … Mit zittrigen, grobschwieligen Händen stützte sie sich am Boden ab. Ihr Ächzen erklang in lautem Bass-Tremolo, ihr kräftiges Herz schlug schneller und schneller. Der Schatz, er war so schön, sein Glitzern wirkte so beruhigend. Er besänftigte jene Unruhe im Inneren ihres Seins, die den Zwergen von Lyonesse gegeben war.
Nein!
In einem Willensakt sondergleichen schaffte es Nadja, sich vom Anblick des Schatzes loszureißen und sich aufzurichten.
Ihre Füße waren schwer, und sie fühlten sich an, als bestünden sie aus Granit. Langsam torkelte sie am Uferrand des Sees entlang, tunlichst darauf bedacht, nur ja keinem ihrer Landsleute –
keinem der Zwerge, verdammt noch mal!
– auf die Finger zu treten.
Plötzlich wurde ihr Handgelenk warm. Das Cairdeas – es sprach an! Dieses Armband, das ihr David überreicht hatte, vermittelte ihr Impulse von Güte, von Sehnsucht, von Zärtlichkeit – und es schenkte ihr dringend benötigte Kraft. David musste nah sein, ganz nah …
Wo war das Licht, auf das sie Cunomorus hingewiesen hatte? Nadjas Sicht wurde von einem seltsamen Schleier überlagert. Sie konnte winzige Einschlüsse, die auf Edelmetalle schließen ließen, wahrnehmen; doch ihr Fernblick blieb verschwommen.
Ein Zwerg drehte sich unruhig von einer Seite zur anderen und grapschte im Halbschlaf nach ihrem Fuß. Nadja hieb ihm reflexartig mit dem Hammer über den Kopf. Der Kleine grunzte wohlig und murmelte: »Danke!«, bevor er wieder einschlief. Die Bewohner der Unterwelt von Lyonesse waren in der Tat hart im Nehmen.
Vor ihr zeigte sich regelmäßige, grünstichige Helligkeit. Das Licht musste aus einer anderen Quelle als der eines brennenden Kienspans stammen. Nadja schleppte sich weiter, auf dieses neue Ziel zu. Mit jedem Schritt fiel ein Teil der Last von ihr ab, die sie auf ihrer Schulter gefühlt hatte, und als sie hinter einem großen Felsblock, abseits des riesigen Schlaflagers, Kappe, Hammer und Taschentuch ablegte, verloren die Gedanken an ein glückliches Zwergendasein endgültig an Kraft. Rationales, menschliches Denken kehrte zurück. Nadja wurde sich ihrer Umgebung bewusst und konzentrierte sich wieder auf die Gefahr, vor der Cunomorus sie gewarnt hatte.
Das Grünlicht wurde deutlicher und konturierter. Es stammte aus einer ruhig strahlenden Quelle; einer Laterne vielleicht.
Nadja trug weder Dolch noch Schwert oder Pistole bei sich. In dieser Tiefe gab es nichts, was mit herkömmlichen Mitteln zu bekämpfen war. Also musste sie sich auf ihre stärkste Waffe verlassen: ihren Verstand.
Sie umrundete einen weiteren riesigen Felsbrocken, dessen Oberfläche Spuren der Bearbeitung durch unzählige Zwergenhämmer aufwies. Dahinter verbreiterte sich der schmale Seitengang und wurde zu einem Hohlraum, dessen Decke mindestens zwanzig Meter hoch reichte. Es stank nach Schweiß und Fäkalien; zerrissene Kleidungsstücke vermoderten bergeweise in einem entfernten Bereich der Höhle. Von dort stammte auch der Lichterschein.
Und der Schatten des Monsters, vor dem Cunomorus sie gewarnt hatte.
Ein Drache bewegte träge seine Flügel. Sie besaßen eine Spannweite von mindestens acht Metern. Wind strich über Nadja hinweg, riss sie fast von den Beinen. Schauriges Geheul drang zu ihr herüber, und eine Wolke des Gestanks, die ihr Tränen in die Augen trieb.
Zwerge und Drachen. Glaubte man Märchen und Erzählungen, waren sie schon früher unheilige Allianzen eingegangen.
Lass dich nicht irritieren!
, sagte Nadja sich.
Cunomorus hat dich gewarnt. Geh weiter, nur keine Angst!
Schritt für Schritt drang sie weiter in die Höhle vor, darauf achtend, sich möglichst leise zu verhalten. Die Geräuschkulisse, dieses Schnaufen und Stöhnen, das jedem Schlossgespenst zur Ehre gereicht hätte, gewann an Wucht und Intensität.
Riesige, tapsige Krallenfüße bewegten sich. Mit weiten, ausholenden Schritten kam der Drache auf die junge Frau zu. Schon konnte sie seine Atemzüge hören, seinen stinkenden Atem riechen. Nadja wollte umdrehen und davonlaufen. Nur der Gedanke an ein Wiedersehen mit David, den sie in unmittelbarer Nähe wusste, hielt sie aufrecht. Doch dieser Wunsch verblasste allzu
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