Thurner, M: Elfenzeit 18: Rache der Verbannten

dröhnte die Bass-Stimme des vordersten Zwergs, bevor die anderen Mitglieder der kleinen Gruppe einfielen: »Wir graben, hacken pausenlos, weil es uns Freude macht. Hi-ho, hi-ho, wir sind vergnügt und froh. Hi-ho, hi-ho, wir sind vergnügt und froh …«
    Nadja wollte es nicht glauben, umso weniger, als sie
sieben
Zwerge zählte, die soeben ihren Dienst antraten.
    Ihr blieb keine Zeit zum Wundern. Schon nahte aus der Gegenrichtung der nächste Trupp. Es handelte sich um müde, mürrisch dreinblickende Gestalten, die sich kaum noch auf den Beinen halten konnten. Nur mit Mühe hielten sie Kurs. Immer wieder führten sie ihre Schritte zur linken Seitenwand.
    Linkszwerge
, erinnerte sich Nadja an Cunomorus’ Beschreibung.
Zeit ihres Lebens bewegen sie sich in konzentrischen Kreisbewegungen gegen den Uhrzeigersinn. Wie Läufer auf einer 400-Meter-Bahn
.
    Sie waren über und über mit Steinstaub bedeckt. Alle husteten und rotzten in verschmutzte, überdimensionierte Tücher …
    Schon waren sie an ihr vorbei und strebten dem Gang zu, der ins Innere des Palastes führte, um dort die von Alebin gewünschten Umbauarbeiten fortzusetzen.
    In letzter Sekunde erinnerte sich Nadja der Dinge, die ihr Talamh in Gedanken zugeraunt hatte. Sie musste sich beeilen! Also schloss sie sich der kleinen Kolonne an und wartete, bis sie die erste Biegung des Tunnels erreicht hatten. Es zeigte sich, dass ihr Sohn richtig vermutet hatte. Der letzte Zwerg hielt ein wenig Abstand zu seinen Vorderleuten. Die Tradition zwang ihn wohl zu diesem Verhalten. Auch die Tatsache, dass sie stets zu siebt unterwegs waren, brachte Nadja ins Grübeln. Wie viel hatten die Brüder Grimm und Walt Disney
wirklich
über diese seltsamen Lebewesen gewusst?
    Hastig zog sie zwei goldene Bänder, die sie vorsorglich mitgebracht hatte, vom Armgelenk und ließ sie zu Boden kullern.
    Der letzte Zwerg blieb abrupt stehen. Er wollte weitergehen, doch er konnte nicht. Seine Instinkte zwangen ihn, sich umzudrehen und nach dem Geschmeide zu suchen.
    »Gefällt dir das?«, fragte Nadja leise und hielt ihre linke Hand hoch. Zwei Gold- und Diamantringe steckten an jedem Finger. Sie mussten eine unbezähmbare Verlockung auf den ungeschlacht wirkenden Zwerg ausüben. Schon kam er auf sie zu, streckte seine Arme verlangend nach ihr aus. In seinen Augen glitzerte pure Lust.
    »Komm nur, komm …« Nadja lockte den kleinen Mann hinter sich her, immer weiter weg vom Rest der Truppe. So weit, bis sie sich sicher war, dass sich niemand mehr in Ruf- und Hörweite befand.
    Talamh hatte ihr abgeraten, einen Frontalangriff zu versuchen. Sie hätte mit Sicherheit den Kürzeren gezogen. Doch es gab andere, weitaus wirksamere Mittel, die sie einzusetzen wusste.
    Nadja begann zu singen. Sie intonierte das erstbeste Lied, das ihr in den Kopf kam: »Money, money, money« von »ABBA«. Ein lächerlicher Text, eine gar nicht so eingängige Melodie. Nadja war nicht sonderlich treff- und tonsicher, doch Zuhörer hatten ihrer Stimme eine gewisse Ausstrahlung attestiert. Sie klang dunkel, rau, erotisch. Sie kroch Männern unter die Hosen, und sie hatte, wie Nadja sich in Erinnerung rief, für manch zusätzlichen Spaß im Bett gesorgt.
    Ein träumerischer Ausdruck trat ins Gesicht des grobschlächtigen Zwergs. Schmuck und Musik – mit beidem konnte man Zwerge für sich gewinnen. Nadja sang mit aller Inbrunst, während sie sich dem Kleinen näherte. Sie drückte ihm weitere Schmuckstücke in die Hand und nahm ihm den Schlaghammer weg. Ihre Kräfte reichten fast nicht aus, um das schwere Gerät mit beiden Händen zu umklammern; doch nur so würde es ihr gelingen, den Zwerg zu überwältigen.
    »Sing weiter«, bettelte ihr Gegenüber, als sie zu einem Ende kam. »Bitte, bitte sing weiter. Für mich!«
    »Aber ja.« Nadja hob die Mütze des Kleinen ein wenig an und streichelte ihm über die Stirn. Er war jung. Da und dort schimmerte noch Haut durch die dicke Staubschicht, die ihn irgendwann einmal zur Gänze einbacken würde.
    Abermals begann sie zu singen. Diesmal – um Himmels willen! – »Jamaica Farewell«, einen Calypso-Song, den Harry Belafonte bekannt gemacht hatte. Welchen Streich spielten ihr da bloß ihre überreizten Nerven?
    Das Maul des Zwerges stand weit offen. Sabber troff daraus hervor und platschte schwer zu Boden. Seine Augen waren lustvoll verdreht, seine Beine zitterten.
    »Verzeih mir«, murmelte Nadja – und hieb ihm wuchtig über den Schädel. Genau auf die staubfreie Stelle.
    Der